Der deutsche Theatermacher und Rechtsanwalt Christoph Nix bestreitet gerade seine erste Festivalausgabe als Intendant der Tiroler Volksschauspiele Telfs. Gespräch mit einem Tausendsassa und Enfant terrible
Nahezu unbemerkt arbeitet in Österreich seit letztem Jahr eine der schillerndsten Figuren der deutschsprachigen Theaterwelt. Prof. Dr. Dr. Christoph Nix, 66, hat eine Biografie wie kein anderer und gilt an seinen bisherigen Wirkungsstätten als Enfant terrible. Zugleich ist er studierter Jurist und Strafverteidiger, Hochschulprofessor, Krimiautor uns Clown. Ehemalige Berufe: Stahlarbeiter, Lkw-Fahrer, Regieassistent, Rettungssanitäter und Vorsitzender der Beschwerdekammer für die Vertragsärzte in Niedersachsen. Nix hat mit Augusto Boal Workshops zum „Theater der Unterdrückten“ gehalten und engagiert sich in Afrika.
Überregional empörte er zuletzt als Intendant in Konstanz am Bodensee, als der Regisseur Serdar Somuncu vorschlug, für seine Inszenierung des George-Tabori-Stückes „Mein Kampf“ zu den Eintrittskarten wahlweise Davidsterne und Hakenkreuzbinden auszugeben – wer sich für letztere entschied, sollte gratis reindürfen. Aufgrund der regulären Spielplandisposition fiel die Premiere auch noch zufällig auf Hitlers Geburtstag. Infolge des Wirbels um die Aktion wurde Nix nicht über 2020 hinaus verlängert.
Nachdem auch seine Bewerbung für die Direktion des Wiener Volkstheaters – angeblich knapp – gescheitert war, wurde Nix künstlerischer Leiter der Tiroler Volksschauspiele 2021 bis 2025. Kurz darauf veröffentlichte er ein Manifest mit elf Punkten zur Krise von Volk und Volkstheater, um eine Debatte anzuzetteln.
Der Ärger war sofort da. Der dem jährlichen Festival in Telfs eng verbundene Dramatiker Felix Mitterer zog seine Stücke zurück. Er hätte lieber die traditionsbewussten Altvorderen der Volksschauspiele im Amt gesehen, mit deren Finanzgebaren die Politik jedoch nicht einverstanden war. Die Geschäftsführung hat seither zweimal gewechselt. Trotz aller Querelen steigt Mitte Juli und noch bis Ende August an verschiedenen Spielstätten die erste Festivalausgabe des „Herrn Professor“, wie seine Geschäftsführerin ihn beharrlich tituliert, mit neun Eigenproduktionen, so vielen wie noch nie.
Am Morgen nach der Premiere seines eigenen Stückes „Rut“ kehrt Nix zum Falter-Gespräch an den Spielort zurück. Es ist dies der Garten des Franziskanerklosters von Telfs, hinter dessen Mauern er während des Festivals auch wohnt. Obwohl Nix müde ist und sich ständig die Lunge abklopft – er leidet nach einer Corona-Infektion im Februar an Long Covid –, sprudeln die Gedanken regelrecht aus ihm heraus. Von dem „harten Hund“, als den die Einheimischen ihn bezeichnen, ist wenig zu spüren. Seine Augen sind glasig, der hessische Dialekt macht die Sprache weich.
Falter: Herr Nix, warum gibt es mit Ihnen immer Ärger?
Christoph Nix: Ich habe an vielen Universitäten und Hochschule gearbeitet, im Stahlwerk und im Zirkus, da gab es nie Ärger. Im bürgerlichen Theater vertrete ich eine aber Ästhetik des Widerstandes, greife gesellschaftliche Themen auf und die machen manchmal Ärger. Jenseits von Kirche und Rathaus ist das Theater für mich der einzige Ort, wo Diskurs möglich ist. Der Ruf, „streitbar“ zu sein, begann vielleicht, als ich 1999 in Kassel Theaterintendant wurde und einige Mitarbeiter nicht verlängert habe. Der Rest ist Legende.
Ein Manifest gleich nach der Ernennung auszusenden, könnte man auch als streitbar bezeichnen.
Nix: Manifeste enthalten oft unbewiesene Behauptungen und wollen einen Diskurs entfachen. Das schafft hin und wieder Widerstand, aber den muss man produktiv fassen, wie in der Psychoanalyse. Ich bin als Stadttheaterintendant mit meinen Mitarbeitern jedes Jahr ein paar Tage weggefahren. Da haben wir Manifeste geschrieben, über Theater und Politik diskutiert oder die afrikanischen Schauspieler haben über Afrika erzählt. Manifeste brauchen Abstand.
Die Motti für Ihre erste Ausgabe der Volksschauspiele lauten: „Geahts no?“ auf gut Tirolerisch und „Theater ist Konflikt“ nach Augusto Boal.
Nix: Boal ging es immer darum, Unterdrückungserfahrungen in Bilder zu fassen, das geht nur, wenn man Konflikte, die vorhanden sind, in Szenen fasst und sogar dort lösen kann. Das Theater ist eine problemlösende Gemeinschaft. Persönlich mag ich gar keine Konflikte, ich lebe in einer freundlichen Familie, wir haben wenig Streit.
Und bei der Arbeit?
Nix: Es gibt Regisseure, die Konflikte in Produktionen schüren, um Energien zu entwickeln und Muster aufzubrechen. Dazu gehöre ich nicht. Zwischen politischem Anspruch und Chefsein gibt es eine Ambivalenz, man muss als Intendant klar sein und nicht so tun, als ob. Deshalb sieze ich mich mit den meisten Mitarbeitern und bleibe distanziert. Ich habe eine Ausbildung als Mediator, die mir hilft, eine gute Streitkultur zu etablieren. Meine Leitungstätigkeit habe ich viele Jahre supervisionieren lassen, als das noch eher belächelt wurde. So konnte ich immer wieder auch Konflikte in meinem Team lösen oder selbst reflektieren.
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