Die Choreografin Meg Stuart trifft bei Impulstanz endlich wieder auf Publikum. Ein Gespräch über ihre Arbeiten
Die amerikanische Choreografin Meg Stuart, Jg. 1965, ist beim diesjährigen Impulstanz-Festival gleich mit drei Arbeiten vertreten. Für ihre neueste, „CASCADE“, hätte Wien eigentlich erst die neunte Station sein sollen. Aufgrund des langen Lockdowns findet hier die Welturaufführung statt. Ein Gespräch über ihre Kompanie Damaged Goods, über den Rhythmus in ihren Arbeiten, und warum es sie deprimiert, über ihr Heimatland nachzudenken.
Falter: Meg Stuart, Sie zeigen bei Impulstanz die Welturaufführung Ihres neuen Stückes „CASCADE“. Als Choreografin, die für einen Drang zur Innovation bekannt ist: Was ist an dieser Arbeit komplett neu?
Meg Stuart: Ich wollte das Verhältnis zwischen Schwerkraft und Zeit erforschen, was mehrere Varianten des Hinfallens, Sich-irgendwo-Reinlehnens und Schief-Stehens hervorgebracht hat. Rhythmisch ist das Stück sehr komplex, das ist ein großer Unterschied zu meinem bisherigen Werk, das zwischen Tanz und Theater pendelte. „CASCADE“ ist ein Tanzstück, das ständig auf unebenem Boden wandelt. Es findet eine laufende Zerrüttung statt, alles ist instabil, das führt zwingend zu einem neuen Maß an Körperlichkeit.
Tänzerinnen und Tänzer versuchen meist, die Schwerkraft eher zu überwinden. Nehmen sie sie hier an?
Stuart: Widerwillig, ja. Es geht auch darum, sich anzuschauen, was wir brauchen und was wir loslassen können. An welchen Strukturen halten wir fest, welche Erwartungen und Hoffnungen, die wir hegen, werden erschüttert? Die Gruppenmitglieder versuchen, einander in spielerischen Strukturen zu finden, in denen sie nicht gegeneinander, sondern zusammen arbeiten. Es sind auch zwei Drummer auf der Bühne, die alternative rhythmische Verbindungen und Brüche vorschlagen. Das Ensemble hält sich daran, leistet aber auch Widerstand.
Sie wollten „CASCADE“ ursprünglich im September zur Uraufführung bringen, als wir bereits ein halbes Jahr Pandemie hinter uns hatten. Inwiefern fließt in das Stück auch unsere neue Situation ein?
Stuart: Die Situation hat klargemacht, dass wir stark miteinander verbunden sind und alles alle betrifft. Ich wollte wieder ein Gruppenstück für die große Bühne machen. Das erforderte intensive körperliche Übung, eine Fußballtrainerin hat mit meinen Leuten gearbeitet. Ich habe viel mit ihnen über Anstrengungen gesprochen, über vorgegebene Muster, wo nichts weitergeht, bis ein neuer Zugang gefunden wird. Das hat natürlich viel damit zu tun, dass unsere Premiere acht Mal verschoben wurde – eine Kaskade für sich. Da fängt man auch immer wieder neu an und wird dann eingebremst. Die Zeit geht weiter, obwohl sich sonst gar nichts bewegt.
Haben Sie im Zuge der acht Verschiebungen eine Version unter Einhaltung von Abstandsregeln geplant?
Stuart: Nein. Als wir in Essen und dann in Paris geprobt haben, haben wir eine künstlerische Blase gebildet. Im Theater haben wir uns viel testen lassen und durften, solange wir auf der Bühne waren, die Masken meistens unten lassen. Kurzzeitig haben wir per Zoom geprobt. Dabei ist aber nicht unbedingt der intensivste Tanz entstanden, es ging nur darum, uns nicht aus den Augen zu verlieren.
Mit dem Entwurf des Bühnenbildes zu „CASCADE“ haben Sie den Theatermacher Philippe Quesne beauftragt. Haben Sie bekommen, was Sie erwartet haben?
Stuart: Er ist ein Schöpfer von Landschaften und Lebensräumen. Ich wollte unbedingt mit ihm arbeiten, weil ich dachte, es würde ein interessanter Dialog herauskommen. Überrascht hat mich, dass er uns keine geschlossene Welt vorgelegt hat, zum Beispiel: „Ihr befindet euch alle auf einem Raumschiff.“ Zeitweise erscheint es, als wäre gar nichts auf der Bühne. Das kosmische Bühnenbild erzählt mehr von dem Versprechen der Zeit als über den Raum. Diese Weigerung, sich an einen festgelegten Begriff zu halten, ist mehr Damaged Goods, als ich erwartet hätte. Bei uns geht es ja nie darum, einen virtuosen Show-Act hinzulegen, sondern immer um die Lücke, ums Scheitern, um die Frage, ob man weiter träumt oder nicht. Das hat er schön eingefangen. Er ist verspielt, und wir spielen. Aino Laberenz macht die Kostüme.
Mehr im Falter-Kultursommer 2021