Ein Telefonat und ein Hörspaziergang als Performance: Die Theater werden im Lockdown immer erfinderischer
Jetzt darf man noch immer nicht ins Theater gehen. Eigentlich darf man überhaupt nicht ohne guten Grund raus. Einige Häuser beharren auf dem Primat der Analogpräsenz und harren der Öffnung, wann immer sie erfolgen mag. Andere wollen auf keinen Fall vom Publikum vergessen werden und streamen entweder live oder aus der Konserve.
Wieder andere gehen tausend erfinderische Wege. Besonders fleißig in den letzten Monaten war das Performance-Theater Brut Wien, das seine zahlreichen Projekte, statt sie zu verschieben, in andere Medien übertrug. Aber auch das Volkstheater, das nach einem Umbau unter der neuen Leitung von Kay Voges noch immer noch nicht so richtig eröffnet worden ist, sammelt originelle Projekte für den Hausgebrauch. Beide haben neue Performances ohne Notwendigkeit einer Theaterbühne am Start, eine für draußen, eine für drinnen.
„Tausend Wege – ein Telefonat“ vom New Yorker Duo 600 Highwaymen (Abigail Browde und Michael Silverstone) läuft seit letztem Dezember in englischer Sprache auf diversen Festivals. Das Volkstheater sicherte sich die deutschsprachige „Erstaufführung“. Aufführen kann sich das Publikum freilich höchstens selbst. Wie der Titel andeutet, besteht die Performance in einem einstündigen Telefonat.
Zwei Ticketkäuferinnen oder -käufer werden gebeten, sich jeweils alleine in einen ruhigen Innenraum zu begeben und zum vereinbarten Zeitpunkt eine Nummer zu wählen. Eine Computerstimme geleitet die beiden durch ein Skript aus persönlichen Fragen, Erzählimpulsen und einem gedanklichen Bild, wonach alle drei gemeinsam nach einer Autopanne in der Wüste einen Schlafplatz für die Nacht suchen. Die eigenen Namen müssen nicht verraten werden, selbst Fragen an die andere Person zu stellen, ist aber auch nicht erwünscht. So hat man nach einer Stunde ein unvollständiges Bild von jemand weiterhin Unbekanntem, einen Teaser zu einem Film, den man vielleicht nie sehen wird – und wenn doch, wird man ihn erkennen?
Das insofern reizvolle Psychospiel bleibt insgesamt dennoch unbefriedigend: Viele der Fragen sind irritierend banal, die Antworten somit auch nicht sonderlich interessant. Selten blieb die am Telefon gestellte Frage „Was hast du an?“ so folgenlos.
Mit deutlich geringerem Anspruch, aber umso größerem Erfolg gehen Tiina Sööt und Dorothea Zeyringer an die Distanzversion ihrer Performance „More or Less“ heran. Denn, wie sie auf ihrer Audiodatei – in übrigens ähnlich gleichförmigem Tonfall wie die Telefonstimme – schlüssig erklären, ist es nur unter Lebensgefahr angebracht, hundert Prozent zu geben. Normalerweise reichen auch 60. Oder 25. Oder zehn. Das zu hören, tut doch mal gut.
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