Ruth Klügers KZ-Erinnerung „weiter leben“ wird in Wien als Videoinstallation zum Theaterstück
Niemand kannte Ruth Klüger, bevor die amerikanische Germanistikprofessorin mit 60 ihre Erinnerungen an die Kindheit in Wien, die Lagerzeit und die ersten Jahre in der neuen Heimat USA zu Papier brachte. Ihre vielbeachtete Autobiografie „weiter leben“ ließ 1992 mit Scharfsinn und Humor jene verstummen, die meinen, alles über die Tragödie Holocaust besser zu wissen. Das Kollektiv makemake produktionen machte daraus ein Theatergroßprojekt an diversen Stationen in der jüdisch geprägten Wiener Leopoldstadt. Kurz vor der geplanten Premiere im November 2020 starb Ruth Klüger – und trat der Lockdown ein. Der Ersatztermin hält, denn die Regisseurinnen Sara Ostertag und Kathrin Herm haben ihr Stationentheater zu einer begehbaren Videoinstallation adaptiert.
Falter: Sie haben Ruth Klügers KZ-Erinnerungsbuch „weiter leben“ fürs Theater adaptiert. Was verbindet Sie mit der Autorin?
Sara Ostertag: Bei uns daheim gab es dieses Buch, daher war es für mich immer präsent. Erinnerungskultur beschäftigt mich seit klein auf, Freunde und Familie haben dieses Interesse noch weiter verstärkt.
Kathrin Herm: Ich habe „weiter leben“ erst über unser gemeinsames Projekt kennengelernt und war vom ersten Satz an sehr angetan von diesen gleichermaßen schonungslos scharfsinnigen wie humorvollen Beschreibungen. Klüger war angetrieben von dem Wunsch verstehen zu wollen, ohne dabei der Versuchung nachzugeben, die Dinge zu verklären. Ich hatte mich schon auf unterschiedlichste Weise mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der Shoa beschäftigt. Diese zugleich feministische und jüdisch-österreichische Perspektive war mir trotzdem völlig neu und eine riesige Bereicherung.
Das Besondere an „weiter leben“ ist die Rückeroberung der KZ-Erfahrung als subjektives Erleben. Wie sind Sie dieser Subjektivität in der Umsetzung begegnet?
Ostertag: Uns war klar, dass wir niemals nachvollziehen könnten, wovon Klüger tatsächlich spricht. Wir können uns nur annähern und Aspekte greifen. Das fantastische an ihrer Sprache ist, dass sie über so viel Unterschiedliches und extrem Spezifisches zugleich spricht. Die Härte und der Humor ihres Schreibens sind überwältigend. Wir nutzen verschiedene historisch besetzte Orten in Wien, um eine Verankerung in der Gegenwartswelt zu schaffen, und wird verkörpern die Autorin nicht im klassischen Sinne. Stattdessen lassen wir Gespenster im Jetzt über das Erinnern sprechen. Gespenster, die man niemals vertreiben, der Stadt nicht austreiben darf, weil wir sonst vergessen, was uns mitbegründet.
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