In meinem 2016 erschienenen „Buch der Schurken“ versammelte ich 100 der genialsten Bösewichte der Weltliteratur in einem Minilexikon. Einige blieben dabei auf der Strecke. Schändlicherweise. Hier begleiche ich nach und nach die schurkische Schuld.
„Und wie ich so dachte, spürte ich, daß mich außer dem N noch einer anstarrte. Es war der T“, schreibt der Lehrer in Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“. Der N ist schlimm genug, benutzt er doch nicht nur (ironischerweise) das heute verpönte N-Wort, sondern beschreibt im Schulaufsatz die damit bezeichnete Personengruppe als hinterlistig, feig und faul. Der Lehrer würde ihm das gerne anstreichen, aber da derlei – der Roman erschien 1937 – auch aus dem Radio zu hören ist, traut er sich nicht. Der N mag also ein Widerling sein, ist hier jedoch unangenehmerweise das Opfer. Bei einem Klassenausflug mit Zeltlager und Militärübungen wird er ermordet, und zwar, wie es sich gehört, von einem, den lange Zeit niemand verdächtigt hat: dem T.
Die Krimihandlung dieses ansonsten visionären Gedankenromans trüge heute kaum eine Folge „Elementary“ oder „The Mentalist“, auch der Plot-Twist ist nicht gerade raffiniert konstruiert. Horváth geht es ja auch mehr um ein Stimmungsbild im Österreich in der Zeit des erstarkenden Faschismus. So geht völlig unter (und fiel auch mir nicht auf, als ich einst mein Lexikon zusammenstellte), dass T einer der ersten richtigen Soziopathen der Weltliteratur ist, ein halbes Jahrhundert vor Hannibal Lecter.
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