Das Theaterkollektiv Henrike Iglesias gastiert mit einer Live-Show über Konkurrenzdruck beim Imagetanz-Festival
Dass Humor nicht verletzend sein muss und Feminismus, ja sogar Queerfeminismus auch Spaß machen kann, haben Henrike Iglesias auf Einladung des Brut schon zweimal in Wien bewiesen, mit dem Porno-Stück „Oh My!“ und der Kochshow „Fressen“. Jetzt „kommt“ das sechsköpfige Kollektiv mit Basis in Berlin und Basel wieder nach Österreich. Im Rahmen des heuer online stattfindenden Imagetanz-Festivals streamt Henrike Iglesias eigens für das Wiener Publikum „Under Pressure“ live aus Berlin. Drei der Mitglieder sprachen vorab über Zoom mit dem Falter über die neue Show, über Labels und Zuschreibungen und darüber, was es mit dem Gruppennamen auf sich hat.
Falter: Henrike Iglesias, Ihre Show „Under Pressure“ entstand 2020. Gab es die Idee dazu schon vor Corona?
Sophia Schroth: Die Förderlandschaft sieht ja so aus, dass man Konzepte mindestens ein Jahr im Voraus einreichen muss. Als wir den Antrag für „Under Pressure“ gestellt haben, war Corona noch nicht auf der Bildfläche. Dennoch hatten wir uns damals schon entschieden, eine Art TV-Show zu machen, in der abgestimmt wird. Im Rahmen von Corona haben wir dann einfach mehr Kameras aufgestellt als ursprünglich geplant und auch die Möglichkeit eingerichtet, die Show zu streamen. Der Sprung zur Corona-Proofness war gar nicht so groß – konzeptionell. Aber natürlich sehr aufwendig und kostspielig.
Im September hatte Ihre Show Premiere in den Berliner Sophiensælen. Die Hälfte des Publikums saß im Saal, die andere Hälfte streamte zu Hause. Im Rahmen des Wiener Imagetanz-Festivals spielen Sie vor einem leeren Saal, wieder in den Sophiensælen. Macht das so überhaupt Spaß?
Eva G. Alonso: Wir arbeiten mit viel Humor, das Lachen des Live-Publikums geht uns ab. Zum Glück hilft uns aber die interaktive Struktur der Show, trotzdem ein bisschen eine Theateratmosphäre zu spüren.
Malu Peeters: Wir stellen dem Publikum etwas mehr als zwanzig Fragen in zehn Kategorien.
Durch die Antworten, die das Publikum auf einer Website eingibt, sehen wir, wie viele Leute online sind. So spüren wir, dass wir ein Live-Publikum haben.
Was passiert in „Under Pressure“?
Schroth: Drei der Henrikes, Laura Naumann, Marielle Schavan und ich, treten gegeneinander an, um herauszufinden, wer am „besten“ ist. Die anderen drei, Malu, Eva und Anna Fries sitzen an der Seite, moderieren die Show und kümmern sich um Live-Sound und Technik. Die drei Kandidatinnen haben unterschiedliche Challenges zu absolvieren. Es gibt eine Webseite und eine App auf dem Handy. Da stimmt das Publikum über Fragen ab wie: „Wer soll heute gewinnen?“ Aber auch zum Beispiel: „Wer ist single?“
Wie ernst soll das Publikum die Abstimmungen nehmen?
Alonso: Sehr ernst. Die ganze Show spielt mit der Rhetorik des Spiels und des Punktesammelns. Ich will das Ende des Stücks nicht spoilern, aber die drei Kandidatinnen bekommen Punkte, wenn sie gewinnen, und das hat immer Konsequenzen.
Peeters: Wie im Leben auch. Man wird die ganze Zeit mit der Macht der Beurteilung konfrontiert, ohne das zu wollen. Einerseits sind wir es gewohnt, andererseits sind uns diese Macht und die Strukturen, denen dieses Wählen unterliegt, unangenehm.
Nimmt jede Show je nach Abstimmung einen anderen Ausgang?
Schroth: Bei ein paar Fragen wurde immer sehr ähnlich entschieden, solange das Publikum in Saal und Online aufgeteilt war. Zuletzt in Bremen, als zum ersten Mal alle nur über das Internet zugeschaltet waren, wurde plötzlich ganz anders bewertet. Eine Frage am Ende einer Szene lautet zum Beispiel: „Wer steht am meisten unter Druck?“ Vor Live-Publikum hat immer Marielle gewonnen, in Bremen gingen die Punkte plötzlich an mich. Das hatte zur Folge, dass ich meinen Text nicht konnte. Wir haben natürlich für alle Fälle vorgesorgt und Texte vorbereitet, weil wir die Show auch englisch untertiteln. Ich hatte meinen Siegestext nicht nochmals gelernt und musste ein bisschen improvisieren. (Lacht.)
Peeters: Wenn Publikum im Theater sitzt, fühlt es sich an wie im Fernsehstudio. Die sehen nicht nur das, was wir in den Stream schicken, sondern auch, wie die Show gemacht wird. Dadurch nehmen sie andere Informationen über die „Qualitäten“ der Performerinnen auf.
Alonso: Wenn niemand im Theater sitzt, können wir besser kontrollieren, was das Publikum sieht und entscheidet. Es passt gut zu dem, was wir über diese Art von manipulierten Wettbewerben sagen wollen.
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