Gott ist nicht schüchtern – Werk X – Inwiefern sich Olga Grjasnowas Roman über den Syrienkrieg für die Bühne eignet, testet Regisseurin Susanne Draxler
Wien, 18. Februar 2021. Die erste Szene ist stark. "Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?", fragt die Frau im blütenweißen Hosenanzug den ebenso strahlend gekleideten Mann. Sie flüstert ihm etwas ins Ohr, wie Bill Murray einst Scarlett Johansson in "Lost in Translation", wir hören nicht, was. Seine Miene verdüstert sich. "Ist vielleicht auch besser so", sagt er. Das ist geheimnisvoll, ein Vorgriff mit Spannungspotenzial. Hernach wird man sehen, wie die Beteiligten nach und nach bis hierher kamen. Am Ende erlebt man die Szene noch einmal, nur ergibt sie da plötzlich keinen Sinn mehr.
Zwei Leben, umgewälzt
Was sinnvoll war: "Gott ist nicht schüchtern”, die Produktion der Regisseurin Susanne Draxler im Wiener Koproduktionshaus Werk X Petersplatz nicht nochmals zu verschieben. Im November hätte Premiere sein sollen, die wurde nun im Februar vor Fachpublikum fürs Streaming aufgezeichnet – und fällt so ungeplant mit einem bitteren Jubiläum zusammen: zehn Jahre Syrienkrieg. Es war Anfang 2011, als die Hoffnungen des so genannten Arabischen Frühlings in Syrien schneller als anderswo zerbrachen. Zu dieser Zeit beginnt Olga Grjasnowas 2017 erschienener Roman, auf dem die Fassung der Dramaturgin Lisa Kärcher beruht. Vergangenen September versuchte sich schon das Berliner Ensemble an einer Dramatisierung, obwohl sich der Roman für eine solche auf den ersten Blick nicht anbietet: Wenig wird gesprochen, viel passiert.
Die aserbaidschanisch-deutsche Autorin schildert kühl, bisweilen protokollartig die schockierenden Umwälzungen in zwei höchst unterschiedlichen syrischen Leben. Amal, eine Damaszener Schauspielerin, engagiert sich in der Revolution, gerät ins Visier des Geheimdienstes. Der in Paris erfolgreiche Mediziner Hammoudi reist arglos heim, um seinen Pass zu erneuern, und erhält unerwartet ein Ausreiseverbot.
Verloren im Handlungsgewirr
Leider zerstreut auch die österreichische Erstaufführung den Eindruck der mangelnden Bühneneignung von Grjasnowas Prosa nicht. Im Gegenteil, gleich nach dem Prolog schnappt die allzu typische Romanadaptionsfalle zu: Da Johnny Mhanna und Diana Kashlan nur zu zweit sind, müssen sie auch Nebenfiguren im Strang der jeweils anderen Figur übernehmen. Hauptsächlich spulen sie aber Erzähltext ab. Die Amal- und die Hammoudi-Szenen wechseln zudem in derart rascher Folge, dass sich, wer das Buch nicht gelesen hat, schon bald im Handlungswirrwarr verlieren muss (wer es gelesen hat, schüttelt ebenso den Kopf, aber erst später).