Das Burgtheater bringt „Die Schwerkraft der Verhältnisse“, den Debütroman von Marianne Fritz, erstmals auf die Bühne. Bastian Kraft erzählt mit detektivischer Sorgfalt eine drastische Geschichte. Deren Inszenierung noch für Diskussionen sorgen könnte.
Einmal im Jahr wagt sich das Burgtheater unter Direktor Martin Kušej an die Wiederentdeckung einer vergessenen österreichischen Autorin. Mit entschlossener Regiehand hat Mateja Koležnik so Maria Lazar gewürdigt, und Barbara Freys Inszenierung von Anna Gmeyners Drama „Automatenbüffet“ war gar zum Theatertreffen 2021 eingeladen. Für den nächsten Teil der ungekennzeichneten Reihe galt es, eine besonders Schwierige aus ihrer Festung hervorzulocken: Marianne Fritz (1948–2007). Die Steirerin schottete sich ab und entwickelte ausufernde Romanprojekte in einer eigenen, zunehmend schwer lesbaren Sprache. Noch zuvor allerdings, 1978, gewann sie mit ihrem schmalen Debütroman „Die Schwerkraft der Verhältnisse“ den Robert-Walser-Preis.
Diesen Text bringt nun Regisseur Bastian Kraft auf die Bühne der Spielstätte Akademietheater. Dem Original bleibt er dabei mit ungewohnter Strenge treu, auch das narrative Präteritum behält er bei, wenn die Figuren abseits der Dialoge in der dritten Person berichten, was sie taten. Das ist lobenswert, weil das Publikum so Fritzens unbarmherzig genaue Prosa hört, und vernünftig, weil nicht zu erwarten ist, dass es die Handlung kennt.
Diese entfaltet sich, im Buch wie auf der Bühne, parallel auf mehreren Zeitebenen. Berta (Katharina Lorenz) heiratet nach dem Zweiten Weltkrieg den biederen Chauffeur Wilhelm Schrei (Markus Meyer). Dessen gefallener Kamerad, der Musiklehrer Rudolf (Nils Strunk), hatte sie vor seinem letzten Weg an die Front geschwängert. 13 Jahre später kommt Berta, drangsaliert von ihrer hyperpragmatischen Freundin Wilhelmine (Stefanie Dvorak), mit dem schnöden Alltag und ihren gemeinen Kindern nicht zurecht. „Die Innerlichkeit geht mir ab“, analysiert sie. „Ich bin zu oberflächlich, zu äußerlich gestimmt.“ So tötet sie Klein-Rudolf und Klein-Berta, scheitert mit einem Selbstmordversuch und landet in einer Anstalt, wo Wilhelm und Wilhelmine, nun verheiratet, sie an ihrem 40. Geburtstag besuchen.
Eine Nebenfigur, das Mütterchen, mit dem Berta ein Krankenzimmer teilt, macht Kraft zur allwissenden Erzählerin. Barbara Petritsch übernimmt auch alle anderen flüchtig vorbeiziehenden Röllchen in Videoprojektionen, die mit dem Live-Schauspiel interagieren. Das Team um Bastian Kraft (Bühne: Peter Baur, Video: Jonas Link) ist für technische Experimentierfreudigkeit und Perfektion bekannt. Drei Beamer werfen die Schatten der Menschen abwechselnd auf eine Leinwand. Sie überlagern vorproduzierte Videos, die ebenfalls Schattenrisse von Figuren zeigen, aber dazu auch jene von Tischen, Booten, Schwangerschaftsbäuchen oder was für die aktuelle Szene benötigt wird. Derweil sitzt Rudolf-Darsteller Nils Strunk links vorn an den Musikinstrumenten und produziert einen Live-Soundtrack, passend zum Erzählduktus des freudlosen Geschehens in Moll.