In meinem 2016 erschienenen „Buch der Schurken“ versammelte ich 100 der genialsten Bösewichte der Weltliteratur in einem Minilexikon. Einige blieben dabei auf der Strecke. Schändlicherweise. Hier begleiche ich nach und nach die schurkische Schuld.
Oha! So viel Kirchenkritik hätte man von einer freilich friedvoll-frommen Frau im 18. Jahrhundert nicht erwartet: Ann Radcliffe verfasste höchst erfolgreich Schauerromane im Stile Horace Walpoles, die wie kaum andere die später kreierte Kategorie der gothic novels repräsentieren. Verliese, Burgen und Sakralbauten, natürlich mit Geheimgängen, spielen eine zentrale Rolle für die mit visionär filmischem Gespür hier verbreitete Gänsehautstimmung. Anders als bei Walpole freilich gibt es für alle scheinbar übersinnlichen Erscheinungen am Ende eine natürliche (wenn auch noch so haarsträubende) Erklärung.
Jedenfalls: Mit Radcliffes kühler Selbstverständlichkeit Äbtissinnen, Inquisitoren und nahezu alle anderen Geistlichen zu unbarmherzigen Unmenschen und/oder fiesen Finsterlingen zu erklären, das ist schon nicht ohne. Nicht ohne, aber dafür -oni, denn auf den Gierschlund Montoni in Radcliffes erstem Erfolg „Die Geheimnisse von Udolpho“ folgt der viel bessere, bösere und interessante Schurke Schedoni in „The Italian“, hübsch trashig ins Deutsche übersetzt unter dem Titel „Der Italiäner oder der Beichtstuhl der schwarzen Büssermönche“ (sic!). Der Trash beginnt dabei schon mit dem sinnlosen Originaltitel. Der Roman spielt nämlich zur Gänze auf dem Stiefel und präsentiert keine einzige Figur, die nicht Italian wäre.
Gemeint ist aber Schedoni, der Mönch und Auftragskiller, der immer ein bisschen Gift in seiner Jacke trägt, um die Spitzen seiner Lanzen damit einzureiben, die er dann großzügig verschenkt.
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