Der US-Theatermagier Robert Wilson bringt „Das Dschungelbuch“ nach St. Pölten
Er kommt aus Waco, Texas, aber dort will er nicht mehr sein: zu rassistisch und engstirnig das Umfeld. Robert Wilson lebt schon lange in Paris. Von dort aus hat der heute knapp 79-jährige Regisseur im letzten halben Jahrhundert die Ästhetik des modernen Theaters geprägt: mit einer bestimmten Körperlichkeit seiner Schauspieler, einem besonderen Einsatzes von Licht und einer schlichten, fast naiven Bildsprache. Auch „Das Dschungelbuch“ entstand in Paris. Rudyard Kiplings berühmte Geschichten vom Jungen, der bei den Affen aufwuchs, brachte Wilson mit Musik des Schwesternduos CocoRosie auf die Bühne. Bevor die Produktion am Wochenende im Festspielhaus St. Pölten gastiert, telefonierte „Bob“, wie ihn alle nennen, mit dem Falter.
Falter: Mister Wilson, sind Sie froh, in Paris und nicht in Amerika zu sein?
Robert Wilson: Es ist hier sicherer als in den Vereinigten Staaten. Die Franzosen haben praktisch meine Arbeit entdeckt. Vor acht Jahren habe ich hier mal acht Produktionen in einer Saison gemacht. So viel habe ich in Amerika in meinem Leben nicht zustande gebracht.
„Das Dschungelbuch“ ist 125 Jahre alt. Was erzählt es Ihnen heute?
Wilson: Wie jedes große literarische Werk ist es voller Zeit und somit auch zeitgemäß. Es geht um soziale und ethnische Gerechtigkeit, Themen, über die wir Tag für Tag sprechen.
Diese Themen werden anhand von Tieren behandelt.
Wilson: Deshalb ist der Stoff auch so perfekt für mich. Bei mir nähern sich die Menschen oft dem Verhalten der Tiere an. Wie schaut ein Grizzlybär? Wie geht ein Hund auf einen Vogel zu? Da lauscht der ganze Körper, nicht nur die Ohren.
„Das Dschungelbuch“ ist ab zehn Jahren geeignet. Worin liegt für einen Starregisseur der Reiz, Theater für Kinder zu machen?
Wilson: Theater sollte immer für Kinder sein. Selbst wenn man „Medea“ macht, ein Stück, in dem eine Mutter ihre Kinder tötet, sollte man sich vorstellen, dass ein Kind im Publikum sitzt. Wenn wir Kindern Grimms Märchen vorlesen, tun wir das auch mit Leichtigkeit und Humor, damit sie gut schlafen.
Sie haben aber auch schon düstere Stoffe bearbeitet, zum Beispiel Samuel Beckett.
Wilson: Stimmt, damit waren wir auch in St. Pölten! Aber das ist ein gutes Beispiel. Wir kaufen eine Karte für ein Stück mit dem Titel „Glückliche Tage“. Dann sehen wir eine Frau, die in einem Erdhügel steckt, und sie sagt: „Wieder ein glücklicher Tag“. Wir sehen ein tragisches Bild, aber es ist ein glücklicher Tag. Der Himmel kann nicht ohne die Hölle existieren. Becketts Lieblingsschauspieler waren Buster Keaton und Charlie Chaplin!
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