In meinem 2016 erschienenen „Buch der Schurken“ versammelte ich 100 der genialsten Bösewichte der Weltliteratur in einem Minilexikon. Einige blieben dabei auf der Strecke. Schändlicherweise. Hier begleiche ich nach und nach die schurkische Schuld.
„So lange sie denkt, gehört sie ihm. Aber da ist noch etwas an ihr, das nicht denkt. Das treibt, das schlägt, das stößt, das treibt sie zu ......“ Ja, wozu eigentlich? „Die Vergiftung“ heißt der zu Unrecht lange vergessene Debütroman der in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Wiener Autorin Maria Lazar. Aber ob diese Vergiftung mehr von der zwanzigjährigen Protagonistin Ruth ausgeht oder sie mehr davon betroffen ist, das ist schwer aufzudröseln. Das liegt im Ungesagten, in sechs statt nur drei Punkten am Ende eines unvollendeten Satzes.
Fest steht, in dem Mädchen hat sich viel zerstörerische Energie aufgestaut. Vordergründig ist Unpünktlichkeit ihre einzige Schandtat. Und Unordentlichkeit – beides eine Rebellion gegen die zwänglich penible Mutter. Soweit alles Teenagernormalität, die angesichts der Tatsache, dass die Verfasserin damals auch nicht älter war als ihre Hauptfigur, ein Schmunzeln hervorrufen könnte. Aber bei Ruth gibt es nichts freundlich Herablassendes, da ist alles finster und unstimmig, was sich in den just 13 Kapiteln des expressiven Romans schön spiegelt. Mit völliger Selbstverständlichkeit hält sich die gerade mal Volljährige einen Geliebten, der Chemiker ist und möglicherweise ihr biologischer Vater. Strümpfe, die man ihr kauft, um sie salonfähig zu machen, macht sie absichtlich dreckig und kaputt. Einen Soldaten, der sie einmal blöd anmachte, stellt sie vor versammelter Bürgerlichkeit bloß – wofür sie heute, hundert Jahre später, freilich Applaus erntet.
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