Die Plattform nachtkritik.de setzte den Theaterstreaming-Trend. Nikolaus Merck erklärt, wie es dazu kam
Kein Theater, das ist schon schlimm genug. Aber auch noch keine Theaterkritik in der Krise, das geht wirklich gar nicht. Schauspielerinnen und Schauspieler können in ihren Wohnzimmern wenigstens noch Lesungen abhalten oder live auf Instagram Solos performen. Der Kritiker geht in Quarantäne seines Materials verlustig.
Die wichtigste Plattform für Kritiken und theaterrelevante Informationen im deutschsprachigen Raum ist nachtkritik.de. Nach der Gründung 2007 als „nur Internet“ verlacht, gilt die Seite heute als Dreh- und Angelpunkt für die gesamte Szene und die Theaternerds. Als es mit den Veranstaltungsverboten losging, dachte man, die in Berlin angesiedelte Redaktion werde sich für ein paar Wochen in den Zwangsurlaub verabschieden. Weit gefehlt.
Da die Autorinnen und Autoren, die über den ganzen Sprachraum verteilt sind, nichts mehr zu liefern haben, arbeitet die achtköpfige Redaktion nun noch mehr. Schon Mitte März startete der „nachtkritikstream“, ein Streamingangebot älterer Inszenierungen. Einige Theater zogen nach und bieten seither eigene Produktionen im Stream an. Aber Nachtkritik.de waren die Ersten. Sophie Diesselhorst, Simone Kaempf und Nikolaus Merck organisieren das theatrale „Notprogramm“. Der Falter sprach mit Nikolaus Merck über die Situation.
Falter: Herr Merck, wie geht es Ihnen? Haben Sie den ersten Schock überwunden?
Nikolaus Merck: Uuuh, der Schock ist nicht überwunden. Aber in Energie verwandelt. Es fühlt sich bei mir wieder so an wie vor 13 Jahren, als wir nachtkritik.de starteten. Aber die meisten von uns arbeiten viel zu viel. Deshalb ist die Kollegin Diesselhorst, die meistens 20 Stunden am Stück malocht, auch entwichen, um etwas Schlaf nachzuholen, und Sie müssen mit mir vorliebnehmen.
Was ist ein Kritiker, wenn er nichts zu kritisieren hat?
Merck: Ein Vater, eine Mutter, ein Koch, eine „Wir-organisieren-das-Streaming“-Redakteurin, ein „Was-bringen-die-Theater-online-zusammensuch-Knecht“.
Sie haben ja auch sonst keine Redaktionsräume, sondern arbeiten jeweils von zu Hause aus. Wie stark hat sich Ihr Arbeitsalltag verändert?
Merck: Nur noch Arbeit. Kein Rausgehen mehr, außer zum Einkauf und in meinem Fall Hund ausführen. Kein Theater, kein Kino, kein Nachtmahl in der Stadt, also bis auf Letzteres das Paradies.
Wie auch andere Medien, denen jetzt die Anzeigen wegbrechen, haben Sie nach Ausbruch der Krise einen recht verzweifelten Spendenaufruf gestartet, um Ihre Existenz zu sichern. nachtkritik.de ist aber auch sonst auf Spenden angewiesen. Ist der Rücklauf bei der Corona-Kampagne anders als bei früheren?
Merck: Absolut. Die Leute sagen uns, dass sie nicht auf nachtkritik.de verzichten wollen und geben uns Geld. Immer noch nicht genug, um die wegbrechende Werbung zu ersetzen, aber genug, um für den Moment zu überleben, und dieser Moment geht derzeit bis Mitte April.
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