Hello Mother, Goodbye Son! – Neue Bühne Villach – Die Premiere von Joshua Sobols Stück über die Psychologin Alice Miller wird zu einer großartigen Erinnerungsarbeit
Villach, 7. Februar 2020. Manchmal meint man, der Theatergott müsse gewürfelt haben. Da trifft Israels bekanntester lebender Dramatiker auf eine Grande Dame deutschsprachigen TV- und Bühnenschauspiels in der größten Nicht-Landeshauptstadt Österreichs, um auf einer winzigen Off-Studiobühne, die mangels Alternativen als das dortige Stadttheater dient, eine Uraufführung zu feiern. Das ist schon merkwürdig.
Stars in Kärnten
Die Stadt ist Villach (62.000 Einw.), das Theater die Neue Bühne mit etwa 80 Plätzen, verteilt auf fünf Sitzreihen (im Foyer läuft schon die Werbung für die nächste Boulevardkomödie). Die Schauspielerin ist Tatja Seibt, Jahrgang 1944, eine viel herumgekommene Allesspielerin vom Format einer Angela Winkler, nur weniger berühmt. Und der Autor ist der auch schon betagte Joshua Sobol, Experte für dramatische Biografien und in Österreich bekannt, weil ihn Paulus Manker nach Groß-Erfolg mit Weiningers Nacht auch als Gebrauchstexter für theatrale Großprojekte wie "Alma" und "Falco" buchte.
Sobols neues Stück "Hello Mother, Goodbye Son!" ist das Gegenteil von größenwahnsinnig, es ist ein Kammerspiel für zwei. Dem Genre Biografie bleibt Sobol treu: Wir begegnen der Autorin von "Das Drama des begabten Kindes", der Psychologin Alice Miller (1923 bis 2010), auf ihrem Sterbebett, nun ja, Sterbesessel, neben ihr ein Tropf mit tödlicher Infusion, die sie nach Belieben selbst starten kann. Alles auf der breiten Bühne ist klinisch weiß, die Kostüme grau. Raum und Inszenierung der Regisseurin Christine Wipplinger erzählen Seelenkrankheit. Ein braver Live-Musiker begleitet, meist unbeleuchtet, auf zwei verschiedenen Blasinstrumenten.
Rückblenden in ein schwieriges Leben
Miller beschrieb in ihrem Bestseller den Kindern eigenen Narzissmus und empfahl Müttern, diesen zu fördern. Bei ihrem eigenen Sohn Martin scheint sie das nicht so gut hingekriegt zu haben. Er, selbst Psychologe, veröffentlichte nach ihrem Tod keine Abrechnung, aber eine Kritik an der Vorgangsweise seiner Mutter und eine Beschreibung ihres Lebens. Auf diesem Buch beruht Sobols Stück, das damit beginnt, dass Martin und seine Mutter sich vor deren Freitod aussprechen wollen. Von diesem Rahmen ausgehend fallen Schlaglichter auf Alice’ bewegte Vergangenheit: Die Warschauer Jüdin geriet einem gewalttätigen Polen in die Hände, der sie vor der Gestapo versteckt hielt. Nach ihrer Flucht in die Schweiz spürte er sie dort auf, sie heirateten.