In meinem 2016 erschienenen „Buch der Schurken“ versammelte ich 100 der genialsten Bösewichte der Weltliteratur in einem Minilexikon. Einige blieben dabei auf der Strecke. Schändlicherweise. Hier begleiche ich nach und nach die schurkische Schuld.
Von den beiden Menschen, die im vergangenen Dezember Literaturnobelpreise entgegennahmen, ist Olga Tokarczuk jetzt eher nicht diejenige, die man des Schurkentums bezichtigen würde. Doch obwohl sie allgemein als eine von den Guten gilt: Böse kann sie auch. Die Erzählerfigur ihres Romans „Der Gesang der Fledermäuse“ (2009) etwa hat es faustdick hinter den Ohren – was einigermaßen überraschend kommt. Janina Duszejko heißt die ältere Dame, ehemals Brückeningenieurin, jetzt Englischlehrerin, die in der waldigen Pampa Südpolens lebt und sich um die Häuser ihrer meist abwesenden Nachbarn kümmert. Sie leidet an altersbedingten Wehwehchen, trifft sich mit einem jungen Studenten zum gediegenen Übersetzen der Lyrik von William Blake, und wenn sie nicht gerade liebevoll Horoskope erstellt, sorgt sie sich um die Tiere des Waldes.
Als mysteriöse Mordfälle passieren – ja, man darf dieses elegante kleine Buch der Nobelpreisträgerin, in dem am Ende der Satz fällt: „Wir wissen, dass du es warst“, als echten Kriminalroman bezeichnen –, schreibt Frau Duszejko der Polizei Briefe mit Erklärungen, wonach die zu Tode gekommenen Männer Opfer der Rache jener Tierarten wurden, die sie zuvor gejagt, gewildert und verspeist hatten.
Und was soll daran bitte schurkisch sein? Haha! Sagen wir es so: Frau Duszejko weiß ganz genau, wovon sie schreibt, wenn sie die Rache der Fauna heraufbeschwört. Sie ist das, was herauskommen wird, wenn Greta Thunberg eines Tages zu dem Schluss kommt, dass friedliches Demonstrieren alleine nicht mehr reicht und ein guter Zweck alle Mittel heiligt. Als Ich-Erzählerin bietet sie ein doppelbödiges Lesevergnügen: Ihre Umgebung hält sie für eine harmlose Alte und nimmt sie nicht ernst; die Leserschaft freilich, charmiert und geblendet von ihren eigenen Worten und Schilderungen, wird sich geschlossen auf ihre Seite stellen, obwohl sie – vor allem, wenn sie krimiversiert ist – schon früh ahnt, welches üble Spiel hier gespielt wird. Das gilt umso mehr für die eindringliche Darstellung durch Agnieszka Mandat in der Verfilmung durch Agnieszka Holland 2017.
Wer weiß: Vielleicht bekommt Janina Duszejko ja einmal den Friedensnobelpreis für ihre Verdienste um Rehe um Insekten. Puh, da wird es dann aber eine gehörige Debatte geben!
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