Nach einem Umbau und zwei Lockdowns will Kay Voges im neuen Jahr das Volkstheater wachküssen. Der Direktor über sein Programm und die Qualitäten Wiens
Groß war im Sommer des letzten Jahres die Aufregung um die Neubesetzung des Volkstheaters. Auch, dass das Haus ein Jahr lang wegen Umbaus geschlossen sein wird, löste Empörung aus. Im Corona-Jahr 2020 erwies es sich als Glücksfall. Wenn alles gutgeht, startet am 8. Jänner, frisch aus dem Lockdown kommend, Kay Voges, 48, mit einem Volkstheater, das nicht nur äußerlich einen neuen Anstrich hat. Dem Falter erklärte der deutsche Theatermacher die Pläne für sein erstes halbes Jahr. Das Gespräch fand noch vor den Lokalschließungen in entspannter Schanigarten-Atmosphäre statt.
Falter: Auf den ersten Corona-Lockdown folgte der zweite, unterbrochen von strengen Abstandsregeln und einem merklichen Besucherschwund. Herr Voges, sind Sie ein Glückspilz, weil Ihre Intendanz wegen des Volkstheater-Umbaus erst im Jänner 2021 richtig beginnt?
Kay Voges: Ich dachte, dass es ein Glück ist, dass wir im Jänner anfangen. Aber die Unsicherheit und die Planung von Woche zu Woche bleibt. Schon in der Vorbereitungsphase mussten wir Projekte überdenken und teilweise absagen, weil sie momentan nicht umsetzbar sind. Jetzt haben wir auch Stücke im Programm wie zum Beispiel „Black Box“ von Rimini Protokoll, ein Stück für nur einen Zuschauer, eine Zuschauerin.
Wie gehen Sie in dieser Situation mit dem Abonnement um?
Voges: Die Fix-Abos im Haupthaus haben wir für diese unsichere Zeit in ein Wahlabo geändert. Die Abonnentinnen und Abonnenten erhalten fünf Abo-Schecks, die sie flexibel, mit Vorkaufsrecht, einlösen können. Den Anspruch, „immer auf dem gleichen Platz zu sitzen“, können wir wegen der Abstandsregeln einfach nicht garantieren.
Was pIanen Sie für das Eröffnungswochenende vom 8. bis 10. Jänner?
Voges: „Der Raum“ von Ernst Jandl ist ein Stück für einen Tontechniker und einen Beleuchter – und für einen Theaterraum. In 59 Szenen erzählt Jandl, welche Töne und Lichter kommen, wo ein Vorhang auf- und wo er zugeht. Wir erleben damit den Möglichkeitsort Bühne, aber noch ohne Menschen. Darauf folgt „Black Box“. Da wird in einem Audio-Walk alle fünf Minuten ein Mensch durchs gesamte Theater geführt. Am dritten Tag zeigen wir „Der Theatermacher“ von Thomas Bernhard. Der erste Satz, der live auf der Bühne gesprochen wird, lautet: „Was hier/ in dieser muffigen Atmosphäre?“
Genau wie 1986 bei Claus Peymann am Burgtheater. Wie sein „Theatermacher“ ist auch Ihrer eine Übernahme, in Ihrem Fall aus Dortmund, wo Sie bisher Intendant waren. Übersiedelt das gesamte Ensemble dieser Produktion nach Wien?
Voges: Nein, „Der Theatermacher“ wird für Wien adaptiert und teilweise umbesetzt. Grundsätzlich kommen sieben Schauspielerinnen und Schauspieler aus Dortmund. Vier weitere waren schon am Volkstheater. Die neun übrigen haben wir neu zusammengesucht.
Nach welchen Kriterien?
Voges: Sind es teamfähige, kluge, spielwütige Freigeister, die nicht wissen, wie es geht, sondern ihren Beruf als Suche definieren? Wir sind wirklich ein Team, das Einzige, was wir über Theater wissen, ist, dass es nur im Kollektiv funktioniert.
Auch eine Sopranistin haben Sie fest engagiert. Wie das?
Voges: Hasti Molavian ist eine herausragende Sängerin, hat aber auch schauspielerisch viel zu erzählen. Deswegen war es ihre Sehnsucht, nicht nur „Figaros Hochzeit“ zu singen. An ihrer Person wird sichtbar, dass wir Kollaborationen mit anderen Kunstformen neben der Schauspielkunst anstreben.
Wo sehen Sie den „Volkstheater“-Aspekt Ihrer Programmierung?
Voges: Das Volkstheater ist einst als Opposition zum aristokratischen Theater entstanden. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt wollten die Geschichten sehen, die für sie relevant waren, nicht die, die dem Kaiser gefielen. Also holten sie zeitgenössische Autoren – das muss man nicht gendern, es waren nur Männer – ans Haus, die über die Gegenwart leidenschaftlich und kontrovers reflektieren. Das wird heute ein bisschen vergessen. Viele, mit denen ich spreche, verwechseln „volkstümlich“ mit dem Volkstheater, wie es einmal war.
Können Sie ein Beispiel geben?
Voges: Vor genau hundert Jahren wurde Arthur Schnitzlers „Reigen“ hier aufgeführt, da gab es eine Saalschlacht. Er war der Skandalautor Österreichs, man hat diskutiert, ob Theater wirklich so gemacht werden kann.
Sind Sie auf Skandale aus?
Voges: Nein, aber auf die Suchbewegung, die das Volkstheater seit 130 Jahren vollführt. Wer zu wissen glaubt, wie Theater geht, könnte irritiert sein, aber wer offen ist und sich überraschen lassen möchte, wird viel finden.
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