Festwochen-Intendant Christophe Slagmuylder über seine Pläne für Transdanubien, die Angst vor den EU-Wahlen und seinen coolen König. Interview: Martin Pesl, Sara Schausberger
Intendant Christophe Slagmuylder [slaxmøldr] hatte wenig Zeit, ein Programm auf die Beine zu stellen. Nachdem sein Vorgänger Tomas Zierhofer-Kin nach nur zwei Festivalausgaben die Festwochen verließ, wurde der Belgier im Juni 2018 als interimistischer Leiter geholt. Im Herbst wurde bekannt, dass er die Funktion bis mindestens 2024 ausüben wird. Slagmuylder leitete zwölf Jahre lang das Brüsseler Kunstenfestivaldesarts.
Das Treffen mit dem geübten Festivalmacher sollte eigentlich in seinem Büro stattfinden. Er wollte lieber raus. Draußen scheine die Sonne und er sei „schlecht gesinnt“, erklärt der Belgier höflich auf Deutsch, womit er eigentlich meint, er sei „schlecht gelaunt“. Zwei Mal in der Woche nimmt er Sprachunterricht, auf dem Weg ins Café Sperl unterhalten wir uns ausschließlich auf Deutsch. Das Interview will er aber dann doch gerne auf Englisch führen.
Falter: Herr Slagmuylder, Sie kommen aus der Hauptstadt Europas. Während Ihrer ersten Festwochen sind Europawahlen. Haben Sie Angst vor dem Ergebnis?
Die Entwicklung des Kontinents beschäftigt mich sehr, und ich sehe nicht so bald ein Wunder kommen. Es ist gerade eine wichtige Zeit, um uns auf Europa zu konzentrieren.
Kann die Kunst dazu etwas beitragen?
Natürlich glaube ich an Kunst als einen wichtigen Raum für Kritik und für die Imagination einer möglichen Zukunft. Es gibt sonst nur wenige Räume, wo das erlaubt ist. Klar, in der Kunst predigen wir immer vor den Bekehrten. Aber es ist wichtig, trotzdem weiter zu predigen und bestimmte Werte wie Weltoffenheit zu verteidigen.
Werden Sie für Belgien wählen?
Ja, gleichzeitig findet nämlich auch eine Parlamentswahl in Belgien statt. Belgien ist ein kleines Land, das drei Amtssprachen hat. Es fällt schwer, Belgien als einheitliches Land zu betrachten, politisch waren wir immer schon ein Land der Kompromisse. Was alle eint, ist der König. Wir sind nicht so verrückt nach den Royals wie die Engländer, und unser König ist auch eher unscheinbar, aber ich finde ihn cool.
In Belgien herrscht große Empfindlichkeit, die flämisch- und die französischsprachige Bevölkerung gleichermaßen zu bedienen. Ist es jetzt in Wien leichter für Sie, da Sie einfach ein internationales Festival machen können?
Leichter würde ich nicht sagen. Aber es stimmt schon: Diese Mehrsprachigkeit und Identitätenvielfalt in Brüssel ist politisch sehr komplex und vage. Wien ist da kohärenter. Aber es gibt hier auch so viele Regeln. Wie oft habe ich hier in Wien schon gehört, dass etwas verboten ist? In Brüssel konnte man sich oft gar nicht an die Regeln halten, weil man nie genau wusste, wessen Regeln gelten. Ein bisschen vermisse ich das Chaos in Brüssel.
Am Tag nach unserem Gespräch fahren Sie zur Premiere von Milo Raus „Orest in Mossul“ nach Gent. Sie haben das Stück zu den Festwochen eingeladen, ohne es zu kennen. Sind Sie nervös?
Nein. Andere Künstler können mich sehr nervös machen, aber nicht Milo Rau. Da weiß ich, es wird interessant, es wird „etwas“. Es wird viel zu diskutieren geben, viele werden dagegen sein oder es nicht mögen, aber ich bin zuversichtlich, dass es eine solide Arbeit wird. Ich habe sechs oder sieben Mal mit Milo Rau in Brüssel zusammengearbeitet.
Was ist dann gerade Ihre größte Baustelle?
Das ganze Festival an sich macht mich sehr nervös, weil ich keinerlei Erfahrung damit habe, ein Festival in Wien zu gestalten. Ich habe ein Programm gemacht, aber wie es sich in Fleisch und Blut umsetzen lässt, weiß ich noch nicht. Besonders die Art, wie die Leute Karten kaufen, was sie dabei beeinflusst und wie sie reagieren werden? Ich übe mich im Moment vor allem in Geduld. Das ist teilweise schön, aber teilweise auch furchtbar.
Eine große Neuheit ist auch die Donaustadt als Spielort.
Das Eröffnungswochenende in der Donaustadt mit all den partizipativen Projekten im Gemeindebau macht mich besonders nervös: Die Idee gefällt mir immer noch, aber ich bange sehr, ob die Leute mitgehen werden. Das Schreiprojekt „undercurrents“ von Sarah Vanhee muss zum Beispiel gerade auf Schiene gebracht werden. Wir müssen aufpassen, dass es nicht zu artifiziell wird. Auch der Dreh des Filmprojekts von Béla Tarr ist eine Aufgabe! Wir arbeiten mit Obdachlosen aus Wien, das erfordert sehr viel Begleitung. Immerhin sind mehr Leute zum Dreh erschienen, als wir dachten. Wir haben mit 150 Leuten gerechnet, gekommen sind 200. Solche selbst entwickelten Kreationen mag ich am liebsten an einem Festival. Diesmal sind es noch nicht so viele, in Zukunft möchte ich mehr davon haben.
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