Der Kirschgarten – Theater in der Josefstadt, Wien – Amélie Niermeyers behutsame Aktualisierung des Tschechow-Klassikers mit Star-Faktor
Wien, 5. Dezember 2019. Die meisten sind sicher seinetwegen gekommen: Otto Schenk! 89! Seit ein paar Jahren schon war der Wiener Lieblingsopa, Kammerschauspieler und Doyen des Theaters in der Josefstadt nicht mehr in einer neuen Rolle aufgetreten. Schenk als Diener Firs, der am Stock mit kleinen Schritten dahertrippelt und alte Geschichten so leise erzählt, dass alles um ihn herum pausieren muss, damit man ihn versteht: ein programmiertes Ereignis.
Otto Schenk hilft nicht beim Umziehen
Es funktioniert auch aufs Anrührendste, außer vielleicht, wenn der Hausherr ruft: "Firs, hilf mir beim Umziehen!" Also bitte. Otto Schenk hilft niemandem mehr beim Umziehen. Otto Schenk schaut nur zum Abbusseln verdattert drein, wenn die Gouvernante Charlotta Iwanowna ihn kess antanzt. Das einstige "Zirkuskind", das der Gutsgesellschaft Kunststückchen vorführen soll, steckt in Alexander Absengers Körper und ist ein Crossdresser. Auch diese überraschende Lesart geht auf und ans Herz, wenn Charlotta sich, meist von allen unbeachtet, in neuen Glitzergewändern präsentiert und entrückt rauchend über die guten alten schrecklichen Zeiten sinniert.
Amélie Niermeyer, aktuell Lehrgangsleiterin am Salzburger Mozarteum, hat in Wien mehrere Opern inszeniert, Tschechows "Kirschgarten" ist ihre erste Schauspielarbeit in der Stadt. Ihr Zugriff ist modern, wenn auch nicht radikal. Die deutsche Textfassung, die sie verwendet, ist altbackener Ausdrücke entledigt, von einer Überschreibung zu sprechen wäre aber übertrieben. Das ist schon noch der gleiche alte "Kirschgarten", die traurige Komödie über Fortschrittsfeindlichkeit, Verdrängung, Alt gegen Neu und die Schwierigkeit, in ökonomisch unmöglichen Zeiten menschlich zusammenzukommen.
Alles musiziert, einer erschießt sich
Man kocht, während die Ranjewskaja (Sona MacDonald) ihr Unglück bejammert (einst ertrank ihr Kind), man musiziert ungerührt, während sich jemand erschießt. Die Drehbühne zeigt unermüdlich ein außenwandloses zweistöckiges Haus von allen Seiten, Blacks und Pausen gibt es nicht, alles ist im steten Fluss. So liegt Igor Karbus als Kontorist (wer ist das überhaupt und was will er hier?) mehrere Bühnendrehungen hindurch da, bis rauskommt, dass der Schuss nur eine Pose war, um Aufmerksamkeit zu erregen. Erfolglos.