Erschienen im „Album“ des „Standard“ vom 4./5. August 2018
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Martin Thomas Pesl
Unsere Nationen beruhen nicht auf bloßen Ideen. Wir alle haben ein Zuhause, in dem wir geboren, einen Ort, an dem unsere Lieben gestorben sind. Wir haben die Felder und Straßenecken, wo wir uns ver- und entliebt, Helden, denen wir nachgeeifert haben, und Gegenspieler, die zu besiegen uns am Ende doch noch gelungen ist. Vor allem aber haben wir unsere Sprachen, die uns geformt haben, die uns die Welt beschreiben, in denen wir unsere Hoffnungen äußern, mit unseren Enttäuschungen ringen, Wörter, die unserem Leben seinen Klang, seine Bedeutung und seinen Trost schenken. Ist es falsch von uns, all das nicht verlieren zu wollen? Es bewahren zu wollen vor der Invasion jener, die – wie wir annehmen oder sogar wissen – ihr eigenes Zuhause, ihre eigenen Felder und Helden und Wörter besitzen und die die unseren unmöglich so würdigen können, wie wir es unweigerlich tun?
Sie sind da, die mannigfaltigen Krisen der Zukunft. Gut möglich, dass Syrien ein Präzedenzfall für vieles ist, was uns bevorsteht: Dürre führt zu wirtschaftlicher Not und unverhältnismäßig starker Binnenwanderung aus den ländlichen in die städtischen Gebiete. Die Bevölkerungsverschiebungen heizen den seit langem schwelenden Verdruss über das politische System weiter an. Spannungen zwischen dem Regime und seinen Menschen erzeugen Widerstand, dann Krieg. Die Infrastruktur bricht zusammen, die Gemeinschaft verliert all jene, die über das nötige Kleingeld verfügen, woanders hinzuziehen, um sich den eigenen Wohlstand oder schier das eigene Überleben zu sichern (oder beides). Es erfolgt also eine Bewegung aus einer Todeszone in eine Zone des Überflusses.
Das Wasser – für manche Kern der Syrienkrise – ist nur eines der künftigen Probleme. Weltweit steigt der Meeres- und sinkt der Grundwasserspiegel. Dadurch wird sich das Zusammenleben von mehr als eineinhalb Milliarden Menschen in den nächsten dreißig Jahren radikal verändern. Die Physik der Migration hat etwas Unvermeidliches an sich. Die Gezeiten jener, die mit uns unbekannten Silben sprechen, die andere Gesichtszüge und Hautfarben haben als die Erzeuger unserer Nationen – diese Gezeiten des Unvertrauten sind unbestreitbar unterwegs zu uns. Man kann einen Damm bauen, um den Strom zu kontrollieren, aber den Fluss kann man nicht aufhalten.
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