In meinem 2016 erschienenen „Buch der Schurken“ versammelte ich 100 der genialsten Bösewichte der Weltliteratur in einem Minilexikon. Einige blieben dabei auf der Strecke. Schändlicherweise. Hier begleiche ich nach und nach die schurkische Schuld.
„Als der Führer kam, wurde die Tant Adelheid politisch“, schreibt Irmgard Keun mit der Stimme ihrer Ich-Erzählerin, der jungen, nur scheinbar naiven Sanna. Besser kann man so ein bei weitem nicht nur mitläuferisches Schurkinnentum der beginnenden Nazizeit gar nicht auf den Punkt bringen. Bitter, wenn es in der eigenen Familie hockt. Faszinierend, dass die Autorin – im Exil, aber noch bevor das mit dem Holocaust so richtig losging – bereits 1937 so scharfe, entlarvende Worte dafür fand, fast so, als würde sie auf ein dunkles Kapitel der Geschichte zurückblicken. „Nach Mitternacht“ war der erste Exilroman der durch „Das kunstseidene Mädchen“ bekannt gewordenen Berliner Autorin. In der Verfilmung 1981 gab Nicole Heesters die Tant Adelheid.
Sannas verdammte Verwandte muss sie bei sich in Lappesheim an der Mosel wohnen lassen, weil ihre verstorbene Schwester, Sannas Mutter, ihr einst viel Geld für den Aufbau ihres Geschäfts lieh. Dafür hasst sie Sanna. Ihren eigenen Sohn Franz hasst sie dafür, dass er als Dreijähriger das Haus und darin den Babybruder angezündet hat. „Ich mochte den Franz erst auch nicht“, erklärt Sanna. „Dann mochte ich ihn, weil die Tant Adelheid ihn nicht mochte.“
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