Julia Schranz denkt Christa Wolfs "Kassandra" vorhersehbar gut herbei.
Die Schauspielerin Julia Schranz ist nicht eine der großen Stimme und Gebärde. Ihre Stärke ist das empathische Hereinholen von Text in die kleine Geste, die moderne Gesichtsregung. Umso interessanter ist es, Schranz zuzusehen, wenn sie die klischeegemäß eher pathetische Unkenruferin Kassandra aus der Mythologie in einem abendfüllenden Solo verkörpert. Der von Julia Nina Kneussel eingerichtete Abend im Kosmostheater beruht auf Auszügen aus dem Roman „Kassandra“ (1983) der großen DDR-Autorin Christa Wolf. Wie bei Wolfs „Medea. Stimmen“ 2017 stammt die Fassung von Kneussel und der Dramaturgin Martina Theissl.
Im Jumpsuit wie eine an die Wand gestellte Soldatin kurz vor der Hinrichtung lässt die Seherin ihr Leben Revue passieren – ein Leben, das der Zuschauer, der nicht abschweifen will, zuvor recherchiert haben sollte, etwa mithilfe des Programmzettels, der ein „Wer ist wer?“ anbietet. Kassandra wurde von Apoll mit der Sehergabe bedacht. Da sie nicht mit ihm schlafen wollte, bestrafte er sie mit dem Zusatz, niemand werde ihre Vorhersagen glauben, etwa dass ihr Bruder Paris den Trojanischen Krieg auslösen würde. Julia Schranz scheint die puren Sätze des inneren Monologs konzentriert Stück für Stück herbeizudenken. Eingesperrte Verzweiflung ist zu spüren.