Drei sehr verschiedene Arbeiten zeigen, wie sich die Bühnenarbeit von und mit Behinderten gewandelt hat
„Disabled Theatre“ war gestern. Genauer gesagt ist es vier Jahre her, dass die Arbeit des berühmten Choreografen Jerôme Bel mit dem Schweizer Theater HORA bei ImPulsTanz zu sehen war. Damals galt es als sensationell, wie Bel mit den Ensemblemitgliedern und ihren intellektuellen Besonderheiten umging – und dass er ihnen überhaupt ein Podium gab. Der Abend lief so ab: Bel oder sein Assistent gaben den Darstellern Anweisungen, sich vorzustellen, zu tanzen oder eine Geschichte zu erzählen. Sie gingen vor und leisteten Folge. In Europa und besonders im deutschsprachigen Raum hat sich im Theater und Tanz mit körperlich oder geistig Behinderten seit der damals bahnbrechenden Bel-Produktion einiges getan. Immer weniger werden die Aufführungen als Sozialprojekte abgetan, sie beginnen, sich als gleichwertige, hochwertige Kunst durchzusetzen.
So erhielt die 2010 gegründete Ich bin O.K. Dance Company, als sie im vergangenen Jahr erstmals bei ImPulsTanz auftrat, mit dem Akademietheater gleich einmal einen Raum mit angemessenen Dimensionen. Die Leiter, Hana und Attila Zanin, bauen ihre choreografischen Arbeiten sensibel auf den speziellen Fähigkeiten ihrer Tänzer mit und ohne Down-Syndrom auf. Ihre Stücke sind leichtfüßig und hoffnungsvoll. Dieses Jahr sind sie mit ihrer neuen Arbeit „Getrennt–Vereint“ vertreten, die das Leben eines Kindes von der Geburt bis zur Selbstständigkeit und darüber hinaus verfolgt. Diesmal sind sogar von Anfang an zwei Vorstellungen angesetzt – im Akademietheater, wo sonst?
Dass aber auch körperliche Behinderungen Menschen nicht vom Tanzen abhalten müssen, beweist nicht zuletzt der österreichische Tänzer, Choreograf, Theoretiker und Rollstuhlfahrer Michael Turinsky. In seinen eigenen Arbeiten „Second Skin – turn the beat around“ und „Second Skin – Master of Ceremony“ und zuletzt als Performer für Doris Uhlich in „Ravemachine“ präsentierte er ein ganz spezielles, mitreißendes Bewegungsvokabular. Für ImPulsTanz hauen sich Uhlich und Turinsky erneut auf ein Packl und setzen ihre verschiedenen Maschinen – Turinskys Rollstuhl und Uhlichs für das Stück „Universal Dancer“ entwickelten Rüttelapparat – einem lustvollen choreografischen Wettstreit aus. Die daraus entstehende „Seismic Night“ im Odeon wird mit Good Vibrations nicht nur überholte Vorstellungen von Behinderung erschüttern. Denn es ist gut möglich, dass die beiden zwischenzeitlich Maschinen tauschen und Gefallen am Gefährt des jeweils anderen finden werden.
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