Heilig Abend – Herbert Föttinger bringt Daniel Kehlmanns Stück Heilig Abend am Wiener Theater in der Josefstadt zur Uraufführung
Wien, 2. Februar 2017. "Phrasen werden unterschätzt, sie sind sehr nützlich", sagt der Vernehmungsbeamte, von dem wir nur aus dem Programmheft wissen, dass er Thomas heißt. Hier also eine Phrase: Die Zeit hat Daniel Kehlmanns neues Stück eingeholt! Echtweltereignisse verleihen der Uraufführung von "Heilig Abend" im Theater an der Josefstadt eine noch aktuellere Aura, als Kehlmann und der Regisseur und Direktor Herbert Föttinger hoffen durften.
Im Stück wird eine Universitätsprofessorin, von der wir nur aus dem Programmheft wissen, dass sie Judith heißt, 90 Minuten vor dem vermeintlichen Hochgehen einer Bombe der Verantwortung für ebendiese bezichtigt. Aktualität pur: Erst vor zwei Wochen wurde in Wien ein Terrorverdächtiger angeblich vor Ausübung eines Anschlags festgenommen. Und: Vor nicht einmal zwei Wochen fand im neuen Wiener "Tatort" ähnlich wie hier ein Wettlauf gegen die Zeit statt. Schuld war eine Philosophin, die nicht aus stumpfem Fanatismus heraus, sondern intellektuell fundiert Widerstand gegen die Gesellschaft einforderte.
Eine solche ist auch Kehlmanns Judith. Auf ihrem Computer hat man ein Bekennerschreiben für eine "Aktion" zur Mitternacht des 24. Dezembers gefunden. "Das war nur für mein Seminar", behauptet sie. Maria Köstlinger spielt sie beherrscht und unnahbar. Meist sitzt sie starr auf ihrem Verhörstuhl, während Bernhard Schirs Polizist für die aufbrausenden Bewegungen zuständig ist. Der Informationsvorsprung, den ihm sein Überwachungsapparat verschafft hat, lässt ihn vor Selbstbewusstsein strotzen. Würden die beiden nicht trotz Mikrofonierung großes, lautes Theater hinter der aus Polizeiserien bekannten Glaswand veranstalten, man könnte sie sich als hübsches Tatort-Pärchen vorstellen (apropos: Warum schreibt Daniel Kehlmann nicht mal einen Tatort?).