Choreograf Jan Lauwers über sein Stück „The blind poet“, über das dreißigjährige Jubiläum seines Ensembles Needcompany und seine Gefühle für Ex-Burg-Direktor Hartmann
Mit einer einzigartigen Mischung aus Tanz und Erzähltheater unter Einbindung bildender Kunst haben sich der Belgier Jan Lauwers und seine Needcompany in dreißig Jahren eine treue Fangemeinde aufgebaut. In Wien kennt man sie außerdem von einem ehrgeizigen Projekt des ehemaligen Burgtheater-Direktors Matthias Hartmann: Er lud Lauwers als Artist-in-Residence ans Haus ein, um über mehrere Jahre „ein Virus im Ensemble zu säen“. Inszenierungen wie „Caligula“ oder „Die Kunst der Unterhaltung“ entstanden. Mit Hartmanns Kündigung und den Sparmaßnahmen der neuen Intendanz Karin Bergmann fand die Begegnung zwischen Performance und klassischem Schauspiel ein jähes Ende.
Erstmals seit diesem Bruch ist Jan Lauwers nun wieder in Wien. Bei Impulstanz zeigt er ein sehr persönliches Stück. „The blind poet“ verwebt die Lebensgeschichten von sieben seiner internationalen Performer mit Skulpturen und Kostümen aus Lauwers’ Atelier und mit alter arabischer Dichtung zu einer großen Weltgeschichte.
Falter: Herr Lauwers, Ihr Stück „The blind poet“ ist vor über einem Jahr entstanden und trifft mit seinen Gedanken über Herkunft und Identität plötzlich einen Nerv. Ist es unabsichtlich politischer geworden als es sollte?
Jan Lauwers: An einem Abend verübt ein Tunesier in Nizza einen Anschlag. Am nächsten Abend sagt unser Performer Mohamed auf der Bühne: „Ich bin Tunesier und stolz darauf.“ Plötzlich ist diese Aussage eher zynisch als ironisch, und wir machen etwas gesellschaftlich Relevantes. Es darf nicht die Absicht eines Künstlers sein, das zu erzwingen, aber wenn es passiert, ist es wundervoll.Würden wir das Stück in den USA spielen und Jules Beckman auf der Bühne sagte: „Es ist wichtig zu sagen, dass ich Amerikaner bin“, würden die Leute sich von ihren Sitzen erheben. Sie sind stolz darauf, Amerikaner zu sein. In Flandern würden sie sagen: „Geh bitte, hast du kein Leben?“. Es ist doch schön zu erkennen, dass nationale Identität nicht so wahnsinnig interessant ist. Man muss nicht für sein Land sterben, man darf höchstens dafür leben. Dachte ich zumindest. In letzter Zeit beginne ich jedoch radikal daran zu zweifeln: „Einwanderer raus!“-Rufe, Erdoğan, der Brexit oder ihr in Österreich mit der Wahl und diesem annähernd faschistischen Kandidaten.
In „The blind poet“ kommt ein totes Pferd vor. Ist das dasselbe wie aus Ihrer „Caligula“-Inszenierung am Burgtheater?
Lauwers: So ist es! Das gab es aber auch schon vorher. Ich habe dieses riesige Atelier, dort wohnen viele Objekte, die manchmal erst nach langen Jahren wiederkehren. Das ist eines der Grundkonzepte meiner Arbeit: Bevor ich die Dinge auf die Bühne stelle, müssen sie eigenständig als Bild oder starke Idee existieren. Das ist eine sehr klassische Art, Theater zu machen. Beckett, Shakespeare und Molière waren ja auch Autoren, Regisseure und Bühnenbildner in einem. Nur so kann es wirklich gut sein. Auch Grace Ellen Barkeys indonesisches Prinzessinnenkostüm war in diversen Abwandlungen schon in vier verschiedenen Shows im Einsatz.
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