Der ungarische Regisseur Árpád Schilling inszeniert an der Burg und spricht über das Leben in einem von Rechtspopulisten regierten Land
Vor über zehn Jahren zeigten die Wiener Festwochen im winzigen Vestibül des Burgtheaters Árpád Schillings minimalistische Version von Tschechows „Möwe“, gespielt von seinem Budapester Ensemble Krétakör (dt.: Kreidekreis, nach Brechts „kaukasischem Kreidekreis“) , das sich rasch zum internationalen Geheimtipp in der Theaterszene entwickelte. Schilling inszenierte an der Burg einen ähnlich pur gehaltenen „Hamlet“ mit nur drei Schauspielern in einem Boxring.
Seitdem Viktor Orbán 2010 mit seiner rechtskonservativen Fidesz-Partei eine Zweidrittelmehrheit in Ungarn erlangte und die Gesellschaft zur selbsternannten „illiberalen Demokratie“ umzubauen begann, engagieren sich Schilling und seine Kollegen wieder zunehmend: mit Theaterproduktionen, aber auch im Bildungsbereich.
Während Schilling nicht müde wurde, die Regierung zu kritisieren, und dafür immer weniger Förderung und immer mehr Ärger bekam – so stand Krétakör eine Zeitlang auf einer ominösen „schwarzen Liste“ der Regierung –, folgten Aufträge aus dem Westen. Etwa inszenierte Schilling große Oper bei Ex-Burg-Chef Nikolaus Bachler an der Bayerischen Staatsoper. Jetzt ist er zurück an der Burg und hat mit Éva Zabezsinszkij ein Stück fürs Akademietheater entwickelt. Premiere von „Eiswind / Hideg szelek“ ist am 25. Mai, neben drei ungarischen Schauspielern und drei Musikern stehen Martin Vischer, Falk Rockstroh und Alexandra Henkel auf der Bühne.
Herr Schilling, in Ihrem neuen Stück tobt ein Sturm und die Figuren begegnen sich in einem einsamen Waldhaus. Dachten Sie an einen Horrorfilm?
Ich hoffe, dass es recht gruselig wird. Aber das Stück soll natürlich vor allem Fragen aufwerfen: In was für einem Europa werden unsere Kinder aufwachsen? Ich beobachte, dass wir zunehmend schnelle, kurzfristige Lösungen für unsere Probleme suchen. Dafür sind wir auch bereit, gewisse Rechte abzugeben: Sollen sie unsere Mails lesen und in unserer Unterwäsche herumwühlen – Hauptsache, es herrscht Sicherheit! Darauf reagiere ich mit meinem Stück.
Das Stück ist aber in der Zukunft angesiedelt.
In ein paar Jahren. Das Szenario ist, dass Ungarn aus der EU geworfen wurde und sich wieder eher dem Einzugsgebiet Russlands unterordnet. Ungarn ist ja vollkommen von den Geldern der Union abhängig. Wenn wir ausscheiden, findet man bei uns keinerlei Wirtschaft vor. Bei den Polen ist das anders, da ist die Wirtschaft extrem stark, weil sie seit der Wende nicht mehr so eng mit dem Staat zusammenhängt.
Vor zwei Jahren meinten Sie, Sie denken wegen Ihrer Kinder darüber nach, Ungarn zu verlassen. Was hat sich seither verändert?
Gar nichts. Ich werde jetzt 42, da ist es schwierig, die Heimat zu verlassen. Aber bei meinen Kindern forciere ich extrem, dass sie Sprachen lernen. Ich rechne damit, dass sie im Westen leben werden. Wir haben innerhalb von 30 Jahren eine Art Kommunismus wiederhergestellt, wir drehen uns im Kreis. Ich selbst kann mich diesem Schicksal meinetwegen hingeben, aber meine Kinder sollen glücklich sein.
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