„Ich weiß, dass ich das alles nicht machen könnte, wenn ich ein Mädchen aus Syrien wäre“, sagt die 16-jährige Lea van Acken. Womit sie leichthin zusammengefasst hätte, warum ihre Darstellung von Anne Frank, der tragischsten Tagebuchschreiberin der Geschichte, gerade jetzt so berührt. Hans Steinbichler, der Mann, der sie inszeniert hat, formuliert es so: „Am Höhepunkt der Flüchtlingskrise zeichnen wir den Flüchtling per se. Und das aus der Perspektive eines Tätervolkes, der Deutschen. Es ist geradezu zynisch, wie gut das passt.“
Die Franks, geflohen aus Deutschland, wähnten sich in Amsterdam sicher, mussten sich aber mit Verschärfung der NS-Judengesetze im Hinterhaus einer Firma von Freunden verstecken. Tochter Anne, selbstreflexiver und doch pubertierender Teenager, dokumentierte. Nach über zwei Jahren zu acht im „Achterhuis“, als der Krieg fast vorbei schien, flog das Versteck auf. Alle bis auf den Vater starben im KZ. Der Anne-Frank-Fonds, der die Persönlichkeitsrechte der Familie verwaltet, hat nun (nach einer US-Version 1959) die Kinorechte an der Geschichte neu vergeben, erstmals an einen deutschen Regisseur. Der fand spannend, dass er mit Anne ein normales, erwachsen werdendes Mädchen vor sich hatte: „Sie hat gebibbert, weil sie ihre Tage bekam, sie wollte sich verlieben, sie fand ihre Mutter blöd.“
Mehrmals schreibt Anne, wie sehr sie die Mutter (Martina Gedeck) verachtet und den Vater (Ulrich Noethen) doch viel lieber hat. Kein Wunder. „Sie konnte nie die Tür knallen und schreien: ,Mama, lass mich!‘“, lächelt Lea van Acken. Mutterkonflikte kennt sie von ihrer ersten Filmerfahrung: In „Kreuzweg“ 2014 gab die Österreicherin Franziska Weisz ihre erzkatholische Mama.
Mit österreichischen Kollegen hatte Lea van Acken es übrigens auch hier zu tun. Die herzensgute Frau, die die Franks versteckt, wird von Gerti Drassl verkörpert. Aber wir können auch böse: Florian Teichtmeister spielt den Offizier, der das Versteck am Ende räumt – ein leiser, aber brutaler Auftritt, der im Gedächtnis bleiben wird und Teichtmeister einen „Und als Gast“-Titel im Nachspann verschaffte. „Ich finde ihn großartig und habe ihn sehr umworben“, erklärt Steinbichler. „Die Szene war ihm erst zu plakativ. Also habe ich das Drehbuch für ihn umgeschrieben und ihm einen Gaststatus versprochen.“
„Das Tagebuch der Anne Frank“ läuft ab 3. März 2016 im Kino.
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