Österreich ist ein Fallbeispiel
Deutscher Humor – ein sehr kurzer Witz? Schon längst nicht mehr. Die Herren aus dem Nachbarland entpuppen sich als überaus pointensichere Provokateure – allen voran Serdar Somuncu
Eigentlich dürfte hier nichts über ihn stehen. Serdar Somuncu braucht keine Werbung. „Ich habe immer viele Zuschauer, obwohl nie ein einziges Plakat hängt. Das liegt daran, dass sich herumgesprochen hat, dass bei mir etwas Unberechenbares passiert“, erzählt er. „Und meist geht es gut aus.“ Nicht immer. Als der in Istanbul gebürtige deutsche Schauspieler und Kabarettist in den Neunzigern mit einer satirischen Lesung aus Hitlers „Mein Kampf“ durch die Lande zog, gingen die Wogen hoch und Somuncu spielte acht Jahre lang Polizeischutz. Auch in Österreich, obwohl hier die Behörden erst meinten: „Wurscht, spiel halt.“
Mittlerweile ist Somuncu als der „Hassprediger“ berüchtigt. Diese Figur verschonte niemanden, spie Feuer gegen alle Minder- und Mehrheiten und brachte das Publikum dazu, über sich selbst nachzudenken. Dann ließ Somuncu den „Hassprediger“ sterben. Im neuen Programm „H2 Universe – Die Machtergreifung“ ist er wieder da und tourt durch Österreich. Wie das aussieht? Weiß Somuncu selbst noch nicht. Was er weiß – das ergibt das WIENER-Gespräch im Vorfeld –, ist jede Menge über österreichische Politik.
Wie kommt es, dass Sie Ihren „Hassprediger“ wieder hervorholen? Es war ein geplantes Manöver. Zum Programm gehört, dass ich als Prophet für eine gewisse Zeit auf die Erde komme, dann auf spektakuläre Art sterbe und dann als Geist wiederkehre. Und auf dieser Tour bin ich eigentlich der Geist meiner selbst. Das hat den Vorteil: Ich kann noch viel härter sein. Die Zeit spielt uns dabei eigentlich in die Tasche. Je mehr „Charlie Hebdo“, je mehr Leute sagen: Bloß keine Witze über Mohammed, desto witziger wird mein Programm.
Eckt es denn auch immer noch so schön an wie etwa Ihre „Mein Kampf“-Lesung? Gute Frage, die habe ich mir selbst noch nie gestellt. In meinen 30 Jahren auf der Bühne hat sich ein Ruf aufgebaut, auch in Österreich: Wenn der Somuncu kommt, wird es provokant. Das nimmt natürlich die Brisanz, fordert mich aber immer wieder neu heraus, wie ich diesen Konsens aufbrechen kann. Letztens war ich in die renommierte „Anstalt“ im ZDF eingeladen, da fiel mir ein, ich müsste eigentlich einen Pro-Pegida-Sketch spielen und sagen: Die haben doch Recht, die sind gegen die Überfremdung des Abendlandes – seid ihr doch auch alle, was stellt ihr euch so an? Am Ende ist wichtig, dass ich mein Label nicht verrate. Denn ich mache das natürlich nicht, weil ich pro Pegida bin, sondern weil ich den Denkansatz verändern möchte. Ich befürworte Pegida nicht, aber ich finde es erwartbar und würde nicht so affektiv damit umgehen. Das ist ja in Österreich genauso: Die FPÖ bekommt 20 %, und dann wird darüber nachgedacht, wie man reagieren soll, damit es nicht so schlimm wird. Man müsste im Vorfeld darüber nachdenken.
Macht es einen Unterschied, mit einem Programm wie Ihrem nach Österreich zu kommen? Absolut. Der Impetus ist ein anderer, und die Ansprache an das Publikum ist anders. Wenn ich in Wien spiele, ist es zudem anders als in Leonding. Aber in Österreich fühlt es sich für mich deutscher an als in Deutschland. Es ist ein viel klarerer Extrakt aus dem Klischee des Deutschen, als man das in Deutschland kennt.
Liegt das auch daran, dass wir Österreicher etwas Deutsches erwarten, wenn wir uns einen deutschen Kabarettisten anschauen gehen? Ich glaube, das ist in den letzten zehn Jahren zusammengewachsen. Als ich vor 30 Jahren erstmals in Österreich gespielt habe, war das hier völlig fremd: anderes Geld, andere Gedanken, anderer Humor. Das hat sich geändert, weil wir über die Boulevardmedien gleichgeschaltet sind. Wir kennen in Deutschland zum Beispiel Lugner. Auch Conchita Wurst ist nach Deutschland übergeschwappt und hat eine Debatte ausgelöst, die ihr schon vor drei-vier Jahren hattet, als sie zum ersten Mal auftauchte: Darf eine Frau einen Bart tragen?
Österreich ist auch das Land, wo (zumindest ist das mein Eindruck) das Wort „Überfremdung“ erfunden wurde. Österreich war immer schon an der Demarkationslinie zwischen Ost und West, und das unmittelbare Aufeinandertreffen kultureller Unterschiede hat Spuren hinterlassen. Begriffe wie „Tschusch“ oder „die Slowenen“ sind hier viel offensichtlicher negativ gebräuchlich. In Deutschland ist der innere Zensor immer eingeschaltet, der verbietet, so etwas zu sagen. Daraus wiederum entsteht eine Schmollhaltung, die immer eskaliert, wenn jemand ein Buch schreibt und sich zum Stellvertreter der schweigenden Mehrheit macht. In Österreich sagt ein Strache ganz offensichtlich Dinge, bei denen sich einem die Haare sträuben. Deshalb spiele ich mein Programm hier ganz anders.
Bedarf es da einer besonderen eigenen Vorbereitung? Bei mir ja, weil ich mich für Österreich sehr interessiere. Hier ist die Ausländerfeindlichkeit klarer und sichtbarer strukturiert, denn die AfD in Deutschland riecht zwar das Potenzial, traut sich aber nicht, FPÖ zu sein. Österreich ist ein Fallbeispiel und interessiert mich daher sehr.
Braucht es spezielle Tricks, diese „Bild“- oder „Krone“-Leser in die Vorstellung zu bekommen? Ich habe das Alleinstellungsmerkmal, dass mein Publikum sehr inhomogen ist. Bei anderen Kollegen kommt Kabarettpublikum oder Ethnopublikum. Bei mir sitzen 13-jährige Hiphop-Kids und 70-jährige drin. Ich kann hochtrabend intellektuell erzählen und auch sehr einfach mit Fäkalbegriffen hantieren. Ich will diese Schnittmenge und auch den Dialog zwischen den Zuschauern.
Am 13. und 14. Juni 2015 gastiert Serdar Somuncu mit „H2 Universe – Die Machtergreifung“ im Stadtsaal.
Mit „Blackout“ in Wien
ittermeier: Pegida wäre hier ein Linksableger der FPÖ
Drei Fragen an Michael Mittermeier (2. bis 5. Juni 2015, Wiener Stadthalle):
Herr Mittermeier, sind Österreicher ein besonderes Publikum? Jedes Publikum hört gerne Dinge aus dem eigenen Land. Ich bringe immer österreichische Dinge ein. Wir werden sicher über den Song Contest reden und darüber, dass ihr dieses Jahr letzte geworden seid, obwohl ihr doch letztes Jahr erste wart!
Sie wurden auf Anti-Pegida-Demos gesichtet. Die Bewegung Pegida gibt es jetzt ja auch in Österreich und hat wesentlich mehr Gegendemonstranten als Teilnehmer. Ist die Bewegung mittlerweile tot? Ihr braucht doch kein Pegida, ihr habt den Strache. Pegida wäre hier nur ein Linksableger der FPÖ. Pegida war ein Zeitgeistphänomen, aber es war wichtig, dagegenzugehen. Allein auf meine Ankündigung der Anti-Pegida-Demo kam ein Shitstorm auf Facebook: „Wir sind nicht alles Nazis!“ Diese Leute wollen auch ernstgenommen werden, aber ich muss die Vollidioten nicht ernstnehmen. Es gibt keine Islamisierung des Abendlandes.
Schrecken einen als bekannten Kabarettisten solche Erlebnisse davon ab, die sozialen Medien zu nutzen? Menschlich war das in vielen Fällen sehr schlimm, aber deswegen nutze ich doch nicht weniger soziale Medien. Ich habe ja auch gesagt: Jeder Künstler, der sich von Bedrohungen einschüchtern lässt – „Wir verbrennen deine CDs“, „Komm nicht nach Dresden, sonst passiert was“ – und sein Programm ändert, hat seine Berechtigung als Künstler verloren.