Gerüchte. Als Nathalie Borgers’ 2002 ihren Film „Kronen Zeitung“ präsentierte, in dem sich die Redaktion und die Lieblingskunden der erfolgreichsten Zeitung der Welt vor laufender Kamera selbst entlarvten, lief der Film zunächst bei der Viennale. Damals ging das Gerücht um, Hans Dichand, der damalige Herausgeber des Blattes, habe alle Premierenkarten aufgekauft, damit niemand sich den Film anschauen konnte. Nach zwölf Jahren habe ich endlich Gelegenheit, die belgische Regisseurin nach dem Gerücht zu fragen. Es stimmt nicht. Schade. Wäre auch zu lustig gewesen.
Sehr lustig ist dafür jetzt Borgers’ neuester Film „Fang den Haider“. Mit scheinbarer Naivität zog die Frau mit dem französischen Akzent, die inzwischen in Österreich lebt, los, um das Phänomen Jörg Haider zu erforschen. Inmitten des Hypo-Dramas interviewte sie Fans und Weggefährten des verstorbenen Ex-FPÖ- und BZÖ-Chefs, um zu verstehen, wie der erste Rechtspopulist Europas so erfolgreich (oder doch nicht so erfolgreich?) werden konnte. Das Ergebnis ihrer ganz persönlichen Österreich-Story erinnert an eine Politsatireshow in Spielfilmlänge. Meint Westenthaler oder Dörfler das gerade wirklich so, oder ist es ihnen rausgerutscht?, fragt man sich immer wieder.
So viel Spaß wie dem Zuschauer hat es ihr selbst nicht gemacht. Als Produzent Kurt Mayer sie mit dem Projekt beauftragte, hatte sie so gar keine Lust auf alle die FPÖ-Menschen – und auch ein bisschen Angst vor ihnen. Wahrscheinlich war sie dann auch eher erleichtert, viele, aber keineswegs alle vor die Kamera bekommen zu haben.
Frau Borgers, Sie zeigen im Film immer wieder sich selbst mit den Anrufbeantwortern FPÖ-naher Menschen sprechen. Hatten Sie Angst, dass das ein Film darüber wird, wie Sie keine Gesprächspartner finden? Es gibt tatsächlich viele, die nicht mit mir sprechen wollten. Bei Schüssel, Riess-Passer, den meisten „Buberln“ bin ich jeweils beim Anwalt schon abgebrettert. Also fing ich an, diese erfolglosen Versuche zu filmen.
War es wichtig für Sie, sich selbst als Leitfaden in den Film zu schreiben? Die Subjektivität war von Anfang an mein Konzept. Es brauchte diesen Blick von draußen.
Was war Ihre größte Überraschung bei der Recherche? Vieles an meinem Haider-Bild wurde eigentlich bestätigt. Am meisten habe ich gar nicht über Haider ihn gelernt, sondern über die Menschen: wie schnell sie bereit sind, jemanden zu lieben, wenn er ihnen den Eindruck von ein bisschen Anerkennung gibt. Das war ja seine große Gabe. Wenn sie einen Blick ihres Idols kriegen, sind sie ewig dankbar und geblendet von seiner Politik. Denn eine Politik hatte er. Viele sagen, da war nichts dahinter. Natürlich stand er als Person im Zentrum, aber wenn er an die Macht gekommen ist, hat er schon eine klare Politik gemacht, nämlich eine von weniger Freiheit und weniger sozialer Gerechtigkeit, also das Gegenteil von dem, womit er wahlkämpfte. Das Geld hat dabei halt er selbst verteilt und nicht das Staatssystem.
Waren Sie offen dafür, positive Seiten an ihm zu entdecken? Ich war schon offen, weil mich hauptsächlich die Psychologie der Persönlichkeit interessiert hat. Ich habe auch positive Seiten entdeckt: Am Ende seines Lebens war er kultiviert und hat ziemlich viel gelesen. Er war sehr talentiert, ein gutes Chamäleon, er konnte sich immer so verwandeln, dass er bekam, was er wollte. Das war bestimmt auch Taktik, aber bis zu einem gewissen Grad Instinkt. Er hat Situationen kreiert, in denen der Eindruck entstand, dass er im Hintergrund ist und die anderen im Vordergrund. Nur was wollte dieser Mann in der Politik?
Ursprünglich wollte er Schauspieler werden. Hätte er sollen? Als Sänger oder Schauspieler hätte er wahrscheinlich weniger Schaden angerichtet, auch für sich selbst. Er war ja auch in der Politik nicht besonders gut, hat sich immer wieder selbst ins Knie geschossen. Wann immer er ein Problem bekam, war er selbst schuld.
Wie war es, viel mit Menschen zu tun haben, in deren Gegenwart Sie sich nicht wohlfühlten? Viele von denen haben auch eine menschliche Dimension. Die Fans waren auch nicht schwierig, nur die Politiker, die sind teilweise wirklich klebrig und affektiert. Ich hatte im Schnittraum tatsächlich keine gute Stimmung. Aber wenn ich so etwas mache, denke ich immer nur ans Endprodukt.
Mussten Sie sich oft zurückhalten, um den Interviewpartnern nicht die Meinung zu sagen? Es ist schon oft am besten, gar nichts zu sagen, weiter zu fragen und abzuwarten. Oft geben sie dann die Antwort, die man hören will.
Wie werden die Mitwirkenden reagieren, die sich im Film ja teilweise selbst bloßstellen? Es ist immer schwierig, sich selbst zu sehen. Vielleicht beschweren sich einige, dass ich nur einen Teil von dem, was sie gesagt haben, hineingeschnitten habe – ich habe ja ja Stunden mit diesen Leuten verbracht, und im Film kommt dann nur eine Minute vor. Aber ich finde, diese Minute trifft schon jeweils den ihren Kern der Leute. Sie sind nicht lächerlich. Sie sind, wer sie sind.
Manche machen sich schon selbst lächerlich. Ich finde zum Beispiel köstlich, wenn Peter Westenthaler, wenn er stolz erzählt, wie er Volksbegehren erfunden hat, weil Haider sich langweilte. Ja, aber er sieht das nicht so. Er sieht nicht, was Sie sehen.
Ist das nicht bitter? Dass der Film die einen bestätigen und die anderen, die „Haider-Menschen“, nicht überzeugen wird? Eines werden sie vielleicht begreifen: wie er sich die Stimmen gekauft hat. Vielleicht sehen merken die Leute, dass sie vorsichtiger sein müssen. Wenn man ein Geschenk kriegt – sei es ein Würstel oder ein Kugelschreiber oder 100 Euro –, muss man fragen, woher das kommt.
Sie haben H.C. Strache aus Ihrem Film komplett rausgelassen. War das Absicht? Ich habe zwar schon ihm Zuge des Wahlkampfs mit ihm gedreht, aber das wäre eigentlich ein eigener Film: wie gut Strache die Rezepte von Haider gelernt hat. Man darf ihn nicht unterschätzen. Er hat weniger Talent und ist weniger charmant, aber er besitzt aber eine unfassbare Zielstrebigkeit. Er macht das so gut wie möglich.
Am Ende gibt mir Nathalie Borgers noch ihre Telefonnummer für Nachfragen. „Aber geben Sie sie nicht an FPÖ-Leute weiter“, sagt sie. „Für die habe ich ein eigenes Handy.“
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