Spinnen, bis der Hitler kommt
Über „Das Rapportbuch“ von Dorothea Zemann
Die längst Genesene, die weiter simuliert, damit der Oberarzt sie verhätschelt. Der hypochondrische Schauspieler, der am liebsten in den Mutterleib zurückkriechen möchte. Die klatschenden und tratschenden Schwestern und die sich als Götter in Weiß pudelwohl fühlenden Ärzte. Diese liebevoll überspitzten Krankenhausgestalten, die uns heute in mehr oder weniger ernst gemeinten Arztserien unterhalten, hat Dorothea Zemann in ihrem 1959 erschienen Roman „Das Rapportbuch“ in literarischer Form verknüpft. Unbarmherzig ist ihr Blick auf die unverbesserlichen Egozentriker, bissig beschreibt sie ihr meist selbstverschuldetes Unglück.
Dass die Autorin (1909 – 1993) auf eigene Erfahrungen aus der Arbeit als Krankenschwester in der Psychiatrie zurückgreifen konnte, trägt sicher auch zur Lebhaftigkeit ihrer miteinander versponnenen Spinnergeschichten bei. Bevor man diese jedoch schlicht als gelungenes Vorzeit-„Scrubs“ abtun kann, schleicht sich die Zeit ins Bewusstsein. „Die Medizinmänner können dem jungen Menschen die Begegnung mit der eigenen Zeit und ihren Gespenstern nicht ersparen.“ Denn der ganze Irrsinn spielt sich in Wien ab, in den Monaten vor dem Anschluss an Hitler-Deutschland im März 1938. Und ist dadurch plötzlich gar nicht mehr so lustig. Nun wird jede Psychose zum Symptom der Verdrängung, jede sorgsam bereitgehaltene Giftspritze eine verständliche Waffe gegen den hereinbrechenden Untergang.
Aber Dorothea Zemann wäre des dämonischen Doderers, ihres damaligen Liebhabers, nicht würdig, wären ihre Giftspritzen nicht auch sprachlicher Natur und somit wahnsinnig witzig. Die Neuauflage des galligen „Rapportbuchs“ im Zeitalter der Neurosen einerseits und des großen Kriegsgedenkens andererseits schafft eine passende Therapie für Nostalgiker.