Angriff des Tolerators
Ohne Empörung geht es nicht, sagt Thomas Maurer. Wurschtigkeit lehnt der zum Toleranter mutierte Kabarett-Star ab. Warum, verrät er hier
Wurde am Abend des 11. September 2001 eigentlich alles an Kulturveranstaltungen in Wien abgesagt? Nein, weiß Thomas Maurer noch: Depeche Mode haben in der Stadthalle gespielt. Er weiß das deshalb noch so genau, weil sein Programm, in dem es um Normalität ging, am 12. September Premiere haben sollte. Die Vorpremiere am 11. sagte er ab (er war ja nicht Depeche Mode), stattdessen setzte er sich hin und schrieb fast sein ganzes Programm um.
Wenn Thomas Maurer nun über einen Monat vor seiner neuesten Premiere „Der Tolerator“ – und eine Woche vor der seitdem erfolgten Wien-Wahl – Vorpremieren spielt, hofft er, auf ähnlich weltbewegende Zwischenfälle verzichten zu können. „Mein Programm ist zu größeren Teilen atmosphärisch als tagespolitisch. Es bewegt sich irgendwo zwischen Mohammed-Karikaturen und H.C. Strache. Aber der Abend ist auch geeignet, auf aktuelle Details einzugehen.“ Auch die müssen gewissermaßen toleriert werden. Toleranz, das ist nicht nur das Thema Flüchtlinge. „Je länger man sich mit dem Begriff beschäftigt“, sagt er, „desto amorpher wird er. Einerseits ist Toleranz irgendwo wichtig, andererseits auch mit einem gewissen Hochmut verbunden: Toleriert zu werden ist nicht unbedingt eine Erfahrung, um die man sich reißt. Und der, der toleriert, ist statushöher und kann es sich leisten.“
Dass er sich eine gewisse Gelassenheit im Umgang leisten kann (Zitat: „Ich bin kein besonderes Häferl, habe das Zelebrieren von Wutausbrüchen immer als unhöflich und indezent empfunden“), kann man der festen Größe im oberen Kabarettbetrieb wohl zugestehen: Gut 27 Jahre ist es her, dass der junge Mann, ein talentierter Zeichner (!), der sein erstes Geld mit Illustrationen verdiente, sich aber vom Elternhaus emanzipieren und daher einen Beruf erlernen wollte – er entschied sich für den des Buchhändlers –, betrunken eine Anmeldung zur Nachwuchsschiene „Sprungbrett“ im „mir bis dahin völlig unbekannten Kabarett Niedermair“ ausfüllte. „Der erste Abend war gar nicht so toll“, erinnert er sich, „aber irgendwas hat es gehabt, und man hat mich in Evidenz gehalten.“ Die Lehre hat er mit Auszeichnung abgeschlossen, und doch spielt er heute die Soloprogramme im Zweijahrestakt, tritt als „Wir Staatskünstler“ mit Florian Scheuba und Robert Palfrader auf und erklärt Oliver Baier regelmäßig im ORF, was es Neues gibt.
Rollen in Film und Fernsehen spielt er relativ selten, was er schade findet. „Zumindest das durchschnittliche Fernsehdarstellerniveau könnte ich halten. Aber die österreichische Filmwirtschaft hat einen leichten Stich ins Inzestuöse, und du kriegst dann Rollen, wenn du schon dort und dort mitgespielt hast. Ich bin immer interessiert, dazuzulernen. Ich drehe gerne, und es wäre mir angenehm, mal ein paar Monate den Schreiber in mir ein bisschen in Ruhe zu lassen.“ Und wenn das nicht passiert, gilt es eben den Tolerator hervorzukehren. Vor eine schwere Probe gestellt wird das Duldertum, wenn, wie zuletzt, der siebenjährige Sohn (Maurer hat daneben noch einen erwachsenen Sohn und eine dreijährige Tochter) ihm gerade mit einer, schwungvollen, sprungvollen Umarmung die Rippen geprellt hat.
Wie der „I’ll-be-back“-ige Titel ebenfalls andeutet, kann Toleranz auch eine Waffe sein. „Die alten Linken kannten den Begriff der repressiven Toleranz, mit dem die arbeitenden Massen eingelullt werden sollen. Man kann damit natürlich eine manipulative Energie anstreben. Ich zum Beispiel kann zornige Menschen zur Weißglut treiben durch meine Duldsamkeit und Vernunft.“ Ein bisschen Zorn ist aber vielleicht gar nicht so schlecht, gerade für einen Kabarettisten? „Klar, wenn es dieses Gefühl er Empörung nicht gibt, stagniert alles. Toleranz soll ja auch nicht in die Wurschtigkeit münden.“
Deshalb bleibt Maurer engagiert, einerseits in sozialen Zwecken, wenn auch nicht so lautstark wie andere Kollegen („Aber mir ist lieber, ein eitler Trottel sammelt Geld für einen guten Zweck, als gar niemand.“), andererseits auf der Bühne. „Wenn mir eine Idee gefällt, mache ich auch Dinge, die unangenehm sind. Davor überlege ich mir zwei Tage, ob es auch geht, ohne mich auszuziehen, mit dem Kopf nach unten irgendwo zu hängen oder für zigtausend Schilling ein aufblasbares Plastiksofa herstellen zu lassen. Im Kopfbüro überstimmt dann aber der künstlerische den kaufmännischen Leiter.“
Diesmal wird es wieder eher puristisch. „Bühnenbildtechnisch ist es klassisches, abgefucktes Kabarett und ganz und gar nicht stylisch.“ Das formale Zuckerl, nicht nur für Maurer-Kenner: Der talentierte Zeichner von anno dazumal wird auf die Bühne gebeten, wo er seine Werke teils live produziert und projiziert. „Das sieht zwar simpel aus, war aber eine technische Herausforderung. Selbst induzierte WLAN-Wolken und Apple-TV haben eine tragende Rolle gespielt.“ Das Wichtigste dabei: Es ist wieder ganz anders geworden als alles zuvor. „Das Programm hat eine andere Farbe, einen anderen Tonfall, eine andere Herangehensweise. Es ist mir ein Anliegen, nach 27 Jahren alle meine Programme noch klar voneinander unterscheiden zu können.“
„Der Tolerator“ hat am 10. November im Stadtsaal Premiere. In der Stadthalle gastieren einen Tag später übrigens die Foo Fighters. Was immer das bedeutet.