Wien ist anders! Endlich! Zumindest was die Theaterszene betrifft. Einige Häuser haben neue Leitungen bekommen, und von heute auf morgen findet sich Tomas Schweigen in der ungeahnten Situation wieder, auf seinem Posten von Frauen umgeben zu sein. Karin Bergmann am Burgtheater, Anna Badora am Volkstheater, Kira Kirsch im brut. Verkehrte Welt. „Aber das ist doch gut“, sagt er gelassen. Noch dazu ist er als einziger männlicher Neuling mit 38 eindeutig der Jüngste in der Partie.
Ja, Tomas Schweigen ist auch anders. Schon, dass sein Vorname ohne h geschrieben ist. Und er sieht nicht aus wie der typische Intendant. Die Tätowierungen auf seinen Oberarmen geben ihm ein Harter-Kerl-Image, das so gar nicht zu dem einladend jugendlichen Lächeln passen will. Schweigen stammt aus Wien – „Ich bin ein echter Wiener im Sinne von kein wirklicher: Meine Urgroßmutter kommt aus Böhmen, ein Großvater aus Deutschland“ –, wohnte aber als Regisseur 15 Jahre in der Schweiz. Jetzt ist er wieder da und leitet das Theater in der Porzellangasse, an dem er einst regelmäßig vorbeispazierte.
Ich muss fragen: Wie viele Wortspiele à la „Der Rest ist Schweigen“ in Kritiken mussten Sie schon ertragen? Weniger als vielleicht zu erwarten wären. Viele halten sich zurück, weil sie denken, es gibt schon tausend Kritiken mit Wortspielen. Im Gespräch kommt es viel häufiger vor.
Und wo ist das h aus Tomas hin? Es wird ständig falsch geschrieben. Selbst, wenn Sie es jetzt richtig schreiben, kann es leicht sein, dass der Korrektor es ändert. Lustig ist, dass Tomas Zierhofer-Kin, der künftige Intendant der Wiener Festwochen, auch kein h hat. Letztens gab es eine Aussendung zu einem Podiumsgespräch mit uns beiden. Und wir waren beide falsch geschrieben.
Das Wiener Publikum ätzt gerne, dass das Theater von Deutschen geprägt ist. Wird die Wiener Herkunft ein Startvorteil für Sie sein? Ich habe das mit Peymann hier mitbekommen. Der wurde hier ja auch erst geliebt, als er wieder nach Deutschland gegangen ist. Ich würde mir wünschen, dass das kein wichtiges Kriterium ist. Ob es mir einen Startvorteil verschafft, kann ich nicht beurteilen. Was mir als Wiener, der nach 15 Jahren zurückkommt, hilft, ist die Distanz und die gleichzeitige Verbundenheit mit der Stadt.
Hat sich Wien denn stark verändert? Die Wiener Seele hat sich in 15 Jahren nicht verändert. Ich habe mich schnell wieder an meine Jugendjahre und den Anfang meines Studiums erinnert gefühlt. Trotzdem ist viel passiert. Gerade was das Theater betrifft, ist die Stadt ein Stück weltoffener geworden. Sie ist einem eigenen Theaterkosmos gesteckt, der sich selbst genügt hat. Das ist jetzt nicht mehr ganz so, ich würde es mir aber noch viel mehr wünschen. Und vielleicht können wir ja ein bisschen was dazu beitragen, dass weiter über den Tellerrand geschaut wird.
Ist die Schweiz sehr anders, vermissen Sie etwas daran? In Basel hat es viel mehr Sonnentage als in Wien. Und bestimmte Codes in der Kommunikation muss ich hier wieder neu lernen: In der Schweiz ist man diplomatischer und vorsichtiger mit anderen Meinungen. Die Wiener sind direkter als die Schweizer, aber auch offener. Man kommt hier schneller ins Gespräch.
Ihre Dramaturgie besteht aus einem Chefdramaturgen, einem Musiker und einem Bühnenbildner. Wie kommt es dazu? Ich arbeite gerne stark kollektiv. Wenn ich als Regisseur mit meinem Bühnenbildner über Raum spreche, ist das gleichzeitig auch ein dramaturgisches Gespräch. Wenn Leute eine andere Perspektive auf Proben oder einen Spielplan haben, mitsprechen und Inputs liefern, entflieht man aus diesem klassisch dramaturgischen Kokon.
Die erste Produktion „Punk & Politik“ ist eine Stückentwicklung mit dem Ensemble. Flexibilität schön und gut, aber müssen Sie da nicht nach den Wahlen in Oberösterreich und Wien alles umschreiben? Es wird nicht darum gehen, wie viel Prozent die FPÖ kriegt. Die Tendenz ist sowieso schon eine, die nachdenklich macht. Das ist ja kein Wiener Phänomen, sondern ein europäisches. Daher geht es generell um die Frage, ob man nicht vielleicht Politik anders denken muss, um Ängste nicht so leicht auf dem Wahlzettel kanalisieren zu können. Wir sind von dem Phänomen Jón Gnarr ausgegangen, der vier Jahre Bürgermeister von Reykjavík war: ein Punk-Comedian, der plötzlich in die Verantwortung kam und wider Erwarten gute Reformen durchgesetzt hat.
Ist es lästig, nicht der einzige Neue im Wiener Theater zu sein? Ich bin da sehr uneitel, ich muss nicht im Mittelpunkt stehen. Als der Intendant, der jetzt in Wien anfängt und hofiert werden muss, sehe ich mich wirklich nicht.
Was hat es mit den Tätowierungen auf sich? Für mich bedeuten die schon was, aber das sagt man ja immer nicht so gerne. Die sind mit den Jahren mehr geworden. Vielleicht werden es auch noch mehr. Das Problem ist, dass man die Termine bei Tätowierern immer so lange im Voraus ausmachen muss.
Sie waren mal ein Jahr am Tiroler Landestheater schauspielerisch tätig. Ich war dort Regieassistent mit Spielverpflichtung. Ich habe kleine Rollen gespielt: Fürstenboten bei Shakespeare und ähnliches. Für mich war das einfach ein erster Schritt in die Praxis.
Man wird Sie also im Schauspielhaus nicht auf der Bühne sehen? Das kann ich nicht versprechen! Ich stehe nicht ungern auf der Bühne. Bei den Arbeiten mit meiner freien Gruppe war ich oft auch auf der Bühne, weil wir gerne den Entstehungsprozess thematisiert haben. Aber ich würde mich nie als Hamlet in „Hamlet“ hineininszenieren.
THEATRALISCHES
Das neue Schauspielhaus
„Mit den Erwartungen des Zuschauers zu spielen ist ein wesentlicher Bestandteil meines Theaterverständnisses“, sagt Tomas Schweigen. Deshalb erlaubt er sich auch flexiblere Raumlösungen, so wie seine Vorvorgänger Barrie Kosky und Airan Berg. „Da spielt meine Erinnerung an das Haus mit rein.“ Damals wusste man Abend für Abend oft nicht, wo im Haus man sich gerade befindet. Außerdem wird Schweigen wieder en suite spielen (wie Kosky/Berg) und ein Ensemble pflegen (wie der unmittelbare Vorgänger Andreas Beck). Neue Stücke stehen im Zentrum, wie diese entstanden sind, ist aber völlig fleixbel: In der ersten Spielzeit gibt es eine Romanbearbeitung, einen überarbeiteten Klassiker, eine Ensemblestückentwicklung, ein fertiges neues Stück, Gastspiele, eine Installation und eine Arbeit in einem Nicht-Theater-Raum. „Insgesamt ist der Spielplan sehr politisch“, freut sich Schweigen. „Kein einziger Abend geht an unserer momentanen Realität vorbei.“