Böse in Japan
Die schöne Angelina Jolie hat ihren zweiten Film gedreht – mit einem durchaus interessanten Bösewicht, dem Popstar Miyavi
Sie will nie wieder vor der Kamera stehen, dafür umso mehr dahinter. Angelina Jolie hat ihren neuen Film „Unbroken“ höchstpersönlich in Berlin präsentiert und dafür vom „Spiegel“ gleich eine auf den Deckel bekommen: Anstatt eine ernstzunehmende Regisseurin zu sein, behaupte sie dies einfach und locke die Medien mit ihrer Schönheit, mit Glanz und Glamour an. Immerhin erwähnte Jolie auf dem Podium mehrmals, wie viel sie noch zu lernen gehabt habe beim Dreh zu diesem ihrem zweiten Film, in dem es auch nach „In the Land of Blood and Honey“ wieder um Krieg geht. Eine amerikanische Durchhaltegeschichte erzählt sie, die des Olympioniken Louie Zamperini (Jack OʼConnell), der im Zweiten Weltkrieg nach dem Absturz seines Flugzeugs erst wochenlang in einem Boot über den Ozean schipperte (Schiffbruch ohne Tiger sozusagen), dann von den Japanern aufgegriffen und im Gefangenenlager gequält wurde.
Der Quälende, der auf den Leichtathleten ein besonderes Auge geworfen hat, ist der unwahrscheinlich sadistische Sergeant Watanabe. Die Gefangenen nannten ihn „The Bird“, weil er sie umgebracht hätte, wenn sie ihn so genannt hätten, wie sie eigentlich wollten.
Für diese klassische Antagonistenrolle wurde eine kuriose Besetzung gefunden: kein Schauspieler, aber ein Superstar. Also, wenn man sich für japanischen Pop und Rock interessiert (was auch hierzulande erstaunlich viele tun). Miyavi ist 33 und in seiner Heimat für seine Gitarrenslaptechnik berühmt, seit er 18 ist. Im Film bedeckt ihn freilich die strenge Militäruniform, aber beim Interview in Berlin scheinen die vielfältigen Tattoos durch sein dünnes weißes Hemd. Obwohl er bemerkenswert Englisch spricht, hat er sicherheitshalber eine Dolmetscherin dabei, die ihn in ulkigem Maße verehrt. „Es war eine schwere Entscheidung, diese Rolle in Angriff zu nehmen“, sagt er. „Ich schlage nie Menschen, ich schlage nur Gitarrensaiten an, und ich habe keine Schauspielerfahrung. Als Japaner gerade diese Seite meines Landes repräsentieren zu müssen war eine große Verantwortung.“ Miyavi ist sichtlich nervös, wie der Film in Japan ankommen wird. Denn das japanische Lager mag den Amerikaner Zamperini zwar traumatisiert, aber eben („Unbroken“) nicht gebrochen haben. Die Japaner dürften in Sachen Trauma freilich etwas lebhafter an die Atombomben zurückdenken, die die USA 1945 auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen haben.
Davon erzählt der Film nicht, und davon spricht freilich auch Miyavi nicht. Er sagt nur: „Im Krieg gibt es keine Gewinner. Es gibt viele Geschichten und viele Blickwinkel. Ich hasse auch nicht Deutschland, nachdem ich ,Inglourious Basterds‘ gesehen habe. Es hat keinen Sinn, auf der Vergangenheit herumzureiten. Wichtig sind friedvolle Momente, die dazu führen, dass so etwas nicht mehr passiert.“ Und so erzählt er, wie er den (erst vor ein paar Monaten verstorbenen) Zamperini noch persönlich kennen lernen durfte, wie der ihn und seine Töchter zu sich eingeladen und ganz unbedarft mit ihnen gespielt habe, stellvertretend, als Zeichen der Vergebung.
Auch die japanische Casterin Yoko ist mitgekommen, nur um diese Geschichte zu bekräftigen: Miyavi war der erste Name auf ihrer Liste, sie habe ihm nichts über den Regieposten erzählt, sondern nur gefragt, wer sein(e) Lieblingsschauspieler(in) sei. „Angelina Jolie“, habe er geantwortet. Dann habe er sein Idol in Tokio getroffen und sei von Angies Entschlossenheit und Leidenschaft überzeugt worden, das heikle Thema anzugehen.
„Beim Dreh in Australien war ich isoliert. Ich durfte nicht mit Jack O’Connell abhängen, obwohl er Gitarre spielt und ich so gerne eine Jamsession mit ihm veranstaltet hätte. Nur Angie hat sich immer um mich gekümmert“, berichtet Miyavi. „Während des Drehs hatte ich einmal einen Gig in Sydney. Angie ließ meinen Drummer und meine Band aus Japan einfliegen. Am Set kannte mich ja niemand. Seit meinem ersten Drehtag hatten sie meine Musik gegoogelt, aber sie kannten mich nur als den instabilen Sadisten. Und da sahen mich alle plötzlich anders, tanzten mit, und auch Angelina Jolie sprang aufgeregt auf und ab und kreischte meinen Namen. Da habe ich gesehen, dass Musik zwar nicht die Welt verbessern, aber Menschen verändern und einen kann.“
Ob er weiter schauspielern wird? „Ja, wenn’s passt, als Nebenjob, um meine Kinder zu ernähren“, lacht er. Zuerst muss aber das neue Album fertig werden, auf das seine Fans schon viel zu lange warten. „Sie waren schon sehr geduldig, während ich in Australien war und Leute verprügelt habe.“ Es ist zu hoffen, dass dieses Album die Fans über Miyavis etwas fragwürdigen Ausflug ins amerikanische Kriegsheldenkino hinwegtrösten kann.