Amorphe Welt
Luxus ist, sich nicht dreinreden zu lassen! Terry Gilliam über „The Zero Theorem“ mit Christoph Waltz und natürlich über Monty Python
Christoph Waltz sitzt nackt inmitten einer riesigen ehemaligen Kirche, starrt auf hysterisch unverständliche Grafiken in einen Computerbildschirm und wartet auf einen Anruf. Müsste man raten, wer sich dieses Einstiegsbild für seinen neuen Film ausgedacht hat, läge man wohl schnell richtig: bei Terry Gilliam, dem Comiczeichner der Monty Pythons, dem Schöpfer surrealer Zukunftsvisionen, die so zukünftig gar nicht sind, dem visuellen Visionär der Achtziger, der mit „Brazil“ einen der vergnüglichsten Sci-Fi-Albträume aller Zeiten erschaffen hat, aber sagt: „Ich habe keinen blassen Schimmer, wie die Zukunft wird.“ Sein neues Werk „The Zero Theorem“ schmorte im Vergleich zu anderen Großprojekten wie dem legendären „Don Quixote“-Film, über dessen kostenbedingtes Scheitern gar eine eigene Kinodoku existiert, nur kurz in der Entwicklungshölle.
Jenseits des Meisterwerks
Vor der Vorführung wird einem von Insidern eingeflüstert: „Das ist kein Meisterwerk“, in das großes Werbebudget fließen dürfe, und man hoffe auf die bedingungslose Treue von Gilliams nerdig-nostalgischer Fanbase. Der Film selbst, der neben Christoph Waltz den Nasstraum Mélanie Thierry, einen (angeblich fast gratis arbeitenden) Matt Damon und wieder einmal eine zur Unkenntlichkeit frisierte Tilda Swinton zu bieten hat, enthebt sich gängigen Kategorien. Bizarre, existenzialistische Gedankenpfade, ebenso bunte wie schreckenerregende Bilder und eine pythoneske Leichtigkeit angesichts des drohenden Nichts: Meisterwerk hin oder her, es ist ein echter Gilliam, einer, der nach „12 Monkeys“ als Teil drei der „Brazil“-Trilogie durchgeht.
„Meine Idee ist das jedenfalls nicht“, sagt Terry Gilliam später im Interview. „,Brazil‘ hat einfach meine damalige Weltsicht wiedergegeben. Dass er heute als prophetisch eingestuft wird, finde ich sehr amüsant. Die Zeiten ändern sich. Die Welt ist amorph und unfokussiert geworden, Politiker machen Kasperltheater: Sie handeln emotional, prügeln aufeinander ein. Während es da aber noch um so was wie Nationalismus geht, fällt das bei den großen Firmen weg, wo nur Geld und Zahlen eine Rolle spielen.“
Das Management (Matt Damon) einer dieser Firmen will, dass ihr Mitarbeiter Qohen Leth (Waltz) die Formel knackt, nach der alles nichts ist. Obwohl das Drehbuch von Pat Rushin ist und nicht von ihm, entspricht es Gilliam sehr, in 30 Jahren von Monty Pythons „Sinn des Lebens“ zu einer Geschichte zu gelangen, in der mathematisch bewiesen werden soll, dass das Leben keinen Sinn hat. „Dabei hockt es seit jeher in unserem Genmaterial, den Sinn finden zu wollen.“ Das gilt vor allem für Qohen Leth, den soziophoben Einzelgänger. „Viele Menschen, vor allem freiberufliche Journalisten, bestätigen mir, wie sehr sie sich mit Qohen identifizieren. Sie verstehen genau, was es heißt, dem Lärm der modernen Welt entfliehen zu wollen. Umgekehrt verstehen sie auch diese gewisse Impotenz, die der Figur innewohnt. Wenn sie ständig alleine schreiben, sehnen sie sich erst recht wieder nach Anschluss.“ Stimmt.
„Film ist die luxuriöseste Kunstform“
Hauptdarsteller Christoph Waltz hat sich vom Rühren der Werbetrommel ausnehmen lassen, er gibt keine Interviews. „Das hasst er“, entschuldigt ihn sein Regisseur. „Und wie andere ganz Große, etwa Robert De Niro und der verstorbene Heath Ledger, ist er daher auch ganz schlecht darin. Sie sind gute Schauspieler, da müssen sie nicht auch noch gute Verkäufer sein.“
Waltz schafft etwas Unmögliches: Er erfüllt eine Rolle, die von sich aus leblos und apathisch ist, mit Leben. „Ich glaube, es liegt daran, dass Christoph, der ja aus einer großen Theaterfamilie kommt, immer hart gearbeitet, aber erst mit 53 Anerkennung erfahren hat. In dieser Zeit hat sich sehr viel Neid und Frustration aufgestaut, was er exzellent benutzen kann.“ Ob Qohen Leth eine Marionette seines Managements bleibt, sei nicht verraten. Aber was müsste geschehen, damit der große Filmstudiorebell Gilliam sich zur Marionette machen lässt? „Ich glaube, es ist zu spät, mich zu ändern. Ich respektiere Autorität in jeder Form, ich will nur in der Lage sein, sie jederzeit zu hinterfragen. Bei der Arbeit als Filmemacher will ich nicht täglich von äußerst nervösen Studiovertretern kontrolliert werden. Filmemachen ist komplex, es ist die luxuriöseste Kunstform überhaupt.“
Apropos, wie geht es „Don Quixote“? „Es sieht gut aus. Wir haben Schauspieler, wir finanzieren gerade. Und vielleicht – nein, sicher werden wir nächstes Jahr drehen. Dieses Projekt ist mein eigener Luxus. Er besteht darin, immer und immer wieder zu versuchen, diesen Film wiederzubeleben. Luxus ist, sich Zeit zu nehmen für das, was ich tue. Das ist es, was ich mir für das Geld kaufe, das ich verdiene. Ich mache alle drei, vier Jahre einen neuen Film. Anstatt mir eine schöne Yacht oder eine Uhr zu kaufen, investiere ich mein Geld in neue Ideen.“ Pause. „Wenn ich richtig reich wäre, hätte ich gerne einen Privatjet. Aber ich bin nicht mal reich genug, mir einen zu mieten. Ich fliege Ryanair.“
And now for something completely different
Die eine Abschlussfrage muss sein: Wie hat ihm die Reunion der Monty Pythons diesen Sommer gefallen, und war es die letzte? „Erst habe ich mich überhaupt nicht darauf gefreut, weil sie mich von anderem abhielt. Aber am Ende hatte ich richtig Spaß. Wir waren in einem riesigen Stadion, aber da das Publikum so mitgegangen ist, fühlte es sich intim an wie in einem Raum mit deinen 16.000 engsten Freunden. Im Moment gibt es keine Gespräche über eine Wiederaufnahme. Aber auch kein ,Nie wieder‘. Es ist einfach nicht sonderlich gesund, wenn wir allzu viel Zeit miteinander verbringen.“
FILMISCHES: ALLES NICHTS
„THE ZERO THEOREM“ IM KINO
KEIN SINN DES LEBENS. Computergenie Qohen Leth wohnt in einer Kirche. Er mag keine Menschen, wartet nur auf „den Anruf“. Um ihn – vielleicht – zu erhalten, forscht er nach dem Null-Theorem, der Formel für die Sinnlosigkeit von allem. Terry Gilliams neue Perle ist schräg und bunt, stimmt nachdenklich und lässt einen dann darüber lachen.
Ab 5.12. im Kino.