Wenig ist sicherer, als dass Heinrich Steinfests Roman „Der Allesforscher“ den Deutschen Buchpreis 2014 morgen Montag nicht gewinnen wird. Des Österreichers Ausflug aus dem skurrilen Krimifach in ein Gefilde, das sich erst nach längerem Lesen ins skurrile Romantikfach einordnen lässt, ist zu sehr Überraschungskandidat auf der Shortlist, um tatsächlich auch als Überraschungssieger hervorzugehen. Man stellt sich vor, wie die Jury diese sechste Nominierung eigentlich gar nicht vergeben wollte, sich nicht so recht einig war und dann aber das eigene leicht verstörte Schmunzeln zum Anlass nahm, diesem eben keineswegs alles erforschenden, sondern sehr individuellen Werdegang eines Mannes vom Profimanager und Hürdenläufer zum Hobbyvater und Hobbykletterer einen Aufmerksamkeitsboost zu verpassen.
Umso seltsamer, dass das schon im Frühjahr erschienene Buch bei Thalia zuletzt kaum zu finden war. Als ich es dann doch fand, war ich wirklich überrascht: Es fand sich bei den österreichischen Gegenwartsautoren und ging mit seinem kleinteilig-schrulligen Cover völlig unter. Kein Aufkleber: „Shortlist Deutscher Buchpreis!“, keine Vorrückung auf die mariahilferstraßennahen vorderen Quadratmeter. Ich dachte, ich lese das Werk eines Quereinsteigers in den Literaturbetrieb, der selbst nicht weiß, wie ihm geschieht. Aber Steinfest wird wohl standfest in seiner Nische bleiben, der Nische des „Detailromantikers“, wie er sich nennt, der im Cheng-Krimi wie in seiner sonstigen Welt durch präzise Sprache und manchmal ein bisschen liebevolles Obergescheitsein besticht.
Schade eigentlich, denn es ist ein gutes Buch. Bis zur Hälfte hätte ich sogar gesagt: ein famoses Buch. Es wird von einem Mann namens Sixten Braun erzählt, der zweimal hintereinander knapp dem Tod entrinnt und dann sein Leben trotzdem nicht umkrempelt. Im Detail jedoch wird es von einem Mann erzählt, den ein platzender toter Wal in Taiwan ausknockt (angeblich gibt es sowas wirklich) und dem in weiterer (in sehr viel weiterer) Folge ein kleiner Bub zur Vaterschaft untergejubelt wird, der eine Sprache spricht, die sonst niemand spricht. Das Besondere hier ist die Art und Weise, wie derlei Kuriositäten sich in John-Irving-Manier (ein Autor, der im Text sogar vorkommt und eindeutig seine Spuren bei Steinfest hinterlassen hat) nahezu selbstverständlich ins Leben des Protagonisten einfügen, der damit gut argumentiert, umgeht, sie lieber beschreibt als etwas zu unternehmen. Denn Sixten Braun unternimmt wenig. Die Dinge passieren ihm. Der romantische Autor ist eben auch heutzutage einer, der dazu steht, das Leben seiner Figuren völlig unter Kontrolle zu haben.
So passiert eben auch das mit dem Kind. Simon heißt es, und Sixtens große Liebe Lana, die er aus geheimnisvollen Gründen selbst beim Sex nicht ganz ausziehen durfte, hat ihn vor ihrem Tod zur Welt gebracht. Aber Sixten forscht nicht nach, er bleibt ein Nichtsforscher mit positiver Grundhaltung, der die Dinge schon irgendwie meistern wird. Ein tröstlicher Zug, der die Lektüre mit leisen Dur-Melodien umschmeichelt – das wird Heinrich Steinfest freuen, denn er beschreibt am Anfang, wie schade er es findet, dass Filme Musik haben, Bücher aber nicht. Das führt aber auch dazu, dass sich manche Rätsel nicht ganz auflösen und dass in der dünnen Luft der Tiroler Berge, in die die Protagonisten (später dann eine ganze Familie) aufsteigen, manch einer lieblichen, auch spirituell-esoterischen Detailschrulle der Atem ausgeht. Man kommt dann eben aus dem Staunen doch noch heraus.
Wenn sich der Roman auch anders entwickelt als in der dichten ersten Hälfte vermutet, so mündet er doch in eine Zen-Gelassenheit, wie sie gar nicht mehr so leicht hinzukriegen ist. Gut gemeint kann also doch auch gut sein. Viel gut. Feel good.