Das alloktoberliche Festival für Kurztheater, MIMAMUSCH in Ottakrings Ragnarhof, war immer etwas, wo man gar nicht erst hingehen musste, um sagen zu können, dass es großartig ist. Allein das Theaterpuff-Konzept leuchtete ein: Schauspieltruppen biedern sich über die ganze Nacht verteilt beim Publikum an, locken die Besucher in Separees und bieten ihnen dort ihre Künste feil. Der Künstler als Gürtelhure, die Gage Verhandlungssache. So demütigend wie die ganze Kunstszene, die Idee so dreckig und anregend wie der Ragnarhof selbst – und das reale Glückserlebnis (wenn man denn doch hingeht) freilich Glückssache. Man wird immer Besseres und Schlechteres sehen.
In den letzten Jahren hat sich das Festival zunehmend etabliert, ist zur Selbstverständlichkeit für Menschen geworden, die der freien Szene angehören und somit sicher irgendwen kennen, der irgendwen kennt, der da mitmacht. Dieses Jahr wollte man eigentlich den Raum wechseln, ist dann aber im Ragnarhof geblieben und hat dafür die zunehmende Dezentralisierung der tatsächlichen Theaterspielorte schriftlich verbrieft, gibt jetzt Spielpläne aus, die zeigen, wo welche Gruppe welches Stück spielt und wer an diesem konkreten Tag pausiert. Im „Haupthaus“ selbst finden nur noch der gewohnt verr(a)uchte Barbetrieb und der zentrale Musik- oder Kabarettact statt, auch jetzt wieder der, wie ein kurzer Blick mit angehaltenem Atem zeigt, bestbesuchte Ort.
Die Kurzschauspiele haben ihre eigene, entspanntere Publikumsakquisedramaturgie entwickelt: An den teils einige hundert Meter vom Zentrum entfernten Spielorten wird nie gleichzeitig gespielt, man wartet ab, bis die Kollegen fertig sind und lädt deren Publikum dann gleich zum Bleiben ein. Das ist schade, weil es den aussagestarken MIMAMUSCH-Urkampf der Künstler um ihre zahlenden Zuschauer unterläuft (auch weil die Spielenden dadurch insgesamt wohl kaum mehr verdienen können als früher (wobei, man überschätze nicht die Armut der Künstler: nur einen Hunderter dabeizuhaben heißt nicht, dass man sich den Eintritt spart – zum Wechseln haben sie genug!)). Der Vorteil für den Zuschauer: Er sieht ohne große Leerläufe in kurzer Zeit tatsächlich viel Drama, Baby.
Kaum angekommen werde ich zum Beispiel in die erste hoch aufgeladene Szene bugsiert: In „Plasmodium Vivax“ von Bernd Watzka wird ein vermeintlicher Arzt, der Heimkinder Malariaexperimenten aussetzte, zur Rache von den Opfern gequält. Das Stück folgt am bravsten dem heurigen Festivalmotto „Nicht Opfer, sondern Täter“, ist natürlich eine Spur zu gruselernst, wird aber unerwartet prompt von einer Art Publikumsdiskussion abgelöst, weil es auf wirklich in Österreich stattgefundenen Experimenten beruht.
Die logisch aus dem Konzept folgende Durchwachsenheit des Programms zeigt sich auch dieses Jahr. „Die Auferstehung“ (Alternativtitel: „THE FREAK SHOW“) von Marcus Josef Weiss und Stefan Ried nennt sich Film-Noir-Theater und ist die aufgeblasene Sadomaso-Rache einer hypererotischen Venus ohne Pelz an einem Typen, der ihre Freundin verlassen hat, oder so. Natürlich endet alles hochdramatisch, wer in kurzer Zeit ein Stück erzählt, muss halt auch besonders schnell den Bogen zum Höhepunkt spannen. Oder sich den Bogen einfach schenken wie in „Das Konzert“ (überraschenderweise auch von Weiss und Ried) vier überkandidelte Damen, die ihr Bedauern angesichts des Ausfalls eines ebensolchen musikalisch, witzig und gut orchestriert zum Ausdruck bringen.
Das richtige Auseinanderklaffen von Realität und ihr entgegengebrachter Emotion ist dann auch das Erfolgsrezept von „Super Markt“ (Text: Teresa Dopler, Regie: Mirza Prince). In einem grellbunten Raum, ganz dicht am Zuschauer süffeln physisch groteske Gestalten Champagner, der offensichtlich Mineralwasser ist, und erfreuen sich panisch-manisch an der Tatsache, dass sie es geschafft haben, sich (wie die Familie Putz, die aber zum Glück hiermit nichts zu tun hat) in einem Kaufhaus niederzulassen. Text, Regie und ohne jede Glätte und Zurückhaltung agierende Schauspieler (Magdalena Plöchl, Michaela Adelberger, Manuel Prammer) machen dieses Kurzstück zu einem Moment, wie er nur in einem Format wie MIMAMUSCH möglich ist. Nicht mehr und nicht weniger will man davon sehen.
Und falls ich anfangs dachte, dieses Festival könnte sich überprofessionalisiert haben, beruhige ich mich spätestens dann, als gegen elf die Polizei eine Lärmbeschwerde übermittelt und die Betriebsanlagengenehmigung sehen will. MIMAMUSCH ist also doch jung geblieben.
Noch am 25. und 31. Oktober und 1. November im Ragnarhof