So viel Humor wie im ersten Bild leistet sich Alexander Giesche in „Die Angestellten“ nie wieder. „Everything not saved will be lost“ steht auf einer Leinwand, während sieben Ensemblemitglieder des Wiener Volkstheaters über eine Treppe aus der Unterbühne emporsteigen. Was in seiner Kalenderspruchhaftigkeit klingt wie von einer Lyrikgröße wie Dylan Thomas, ist in Wahrheit ein Hinweis, nicht aufs Speichern zu vergessen. Urheber des Zitats: Nintendo Quit Screen.
Damit hat der 1982 in München geborene Theatermacher die achte Protagonistin eingeführt, sie als ernst zu nehmende Gegen- und Mitspielerin etabliert: die KI oder, um es weniger trendig-schnöde zu formulieren, die Technik, die Digitalität. Die darf nicht fehlen in einem „Visual Poem über Arbeit im 22. Jahrhundert“. Auch wenn dieser Untertitel eine etwas ungenaue Kombination zweier Elemente ist. „Visual Poems“ heißen Giesches Theaterarbeiten eigentlich immer, er schafft lieber poetische Bilderwelten, als Geschichten zu erzählen. Die Gattungsbezeichnung hat Giesche geprägt, seine Zürcher Max-Frisch-Fantasie „Der Mensch erscheint im Holozän“ war zum Theatertreffen 2020 eingeladen. Die Jury des Wiener Nestroy-Preises erklärte sie zur besten Aufführung im deutschsprachigen Raum und hob damit Giesches Bekanntheit auch in Österreich, wo er mit „Die Angestellten“ nun erstmals eine neue Inszenierung entwickelt hat.
Der zweite Teil des Untertitels geht auf die Vorlage zurück, Olga Ravns „Die Angestellten. Ein Roman über Arbeit im 22. Jahrhundert“. Die Dänin, Jahrgang 1986, wurde zu ihrem Debüt von Kunstwerken einer befreundeten Künstlerin inspiriert, die Ravn für eine Ausstellung ihrer Objekte um Begleittexte bat. Im Roman werden daraus seltsame Gegenstände, die die Crew eines Raumschiffs bei der Expedition auf einen Planeten gefunden hat und nun in zwei Räumen des Schiffs aufbewahrt.
Die eigentlich nur zum Arbeiten existierenden Angestellten – wen wundert’s, ist ja schon im 21. Jahrhundert teils ähnlich – entwickeln rund um die Objekte plötzlich Gefühle. Die einen verlieben sich, andere entwickeln einen Kinderwunsch, Sehnsucht nach verschiedenen Düften oder Selbstzweifel: „Bin ich ein einziger Schmerz?“ Die bisher unhinterfragte Loyalität gegenüber der Organisation, die sie für das Raumschiff rekrutiert hat, wankt, dafür entsteht bei einigen das unerklärliche Bedürfnis, die leblosen Objekte zu umsorgen.
Im Buch erzählen die Angestellten das einer Untersuchungskommission, deren Mitglieder allerdings nicht zu Wort kommen – im Theater fühlt sich bisweilen das Publikum mit den Zeugenaussagen angesprochen. Diese sind durch keinerlei Erzählpassagen verbunden, sodass erst nach und nach erkennbar, eher atmosphärisch spürbar wird, in was für einer Welt wir uns befinden und was darin eigentlich passiert, darunter die wesentliche Information, dass ein Teil der Besatzung aus echten Menschen, der andere aus humanoiden Robotern besteht.
In diesem Sinne liegt Ravns 2022 erschienenes Buch als Vorlage für einen Regisseur nahe, der störende Elemente wie Handlung und Dialog aus den von ihm bearbeiteten Texten sowieso entfernen würde. Giesche gilt als „Zeitdehner“, der die Kopräsenz auf der Bühne und im Zuschauerraum gern für Experimente nutzt. Bei ihm geht es gefühlig und gemächlich zu, er macht Theater zum tief Durchatmen. Mit „Verbundensein“ am Theater Bremen startete Giesche im Vorjahr den bemerkenswerten Versuch, die Pulsfrequenzen aller Anwesenden in Gleichtakt zu bringen.
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