This Christmas
Liebe Homepagebesucherin, lieber Homepagebesucher!
Ich mache es mir leicht. Anstatt Sie alle einzeln anzuschreiben und Ihnen jeweils ganz individuell mitzuteilen, welches Attribut Ihre Feiertage meinem Wunsch zufolge haben sollen und welche Rutschqualität auf einer Skala von gut bis gut ich Ihnen gönne, lasse ich Sie ganz pauschal an ein bisschen Nostalgie teilhaben.
Es war 2009, die Nullerjahre gingen zu Ende. Für eine Weihnachtsfeier der STUTHE wurde ich beauftragt, ein kurzes Stück zu schreiben. Ich tat dies, es gab eine Lesung, die Leute lachten, und das Stück geriet aufgrund seines brandheißen Zeitbezugs gar bald in Vergessenheit. Hier ein Auszug anlässlich des fünfjährigen Bestehens von „This Christmas“. Fröhliche Weihnacht.
Martin Thomas Pesl
Harald öffnet die Tür. Davor steht George, in einen ärmlichen Mantel gewickelt und mit einer Pelzmütze auf dem Kopf. Die anderen beiden verfolgen vom Esstisch aus das folgende Gespräch.
George: Hi. Ich bin George.
Harald nach einer längeren Pause: Guten Abend.
George: Zunächst möchte ich mich in aller Form bei Ihnen und Ihren Lieben für die unerwartete Störung an diesem so persönlichen, herzerwärmenden und der Familie gewidmeten...
Harald unterbricht: Jaja, gut. Was gibt es denn?
George: Äh, und ich möchte Ihnen vorweg ein friedliches und gesegnetes Weihnachtsfest wünschen.
Harald wieder nach einer längeren Pause: Ja, danke.
George: Der Grund meiner Unterbrechung Ihrer Feierlichkeiten...
Harald unterbricht: Ihnen übrigens auch.
George: Bitte?
Harald: Na, also frohe Weihnachten, Ihnen.
George: Vielen Dank. Ich bin gerührt und fühle mich gleich ein wenig besser durch Ihre warmen Worte.
Harald: Aha. Danke.
George: Es geht um eine Bitte. Von mir, George, an Sie, ...
Er wartet, ob Harald seinen Namen nennt, da dies aber nicht geschieht, setzt er fort.
Würden Sie an diesem gesegneten Tag einer armseligen, einsamen Kreatur Einlass gewähren?
Harald etwas verwirrt: Ist Ihnen kalt? Haben Sie Hunger? Sind Sie krank? Sind Sie obdachlos?
George: Die Welt ist kalt. Kalt und hartherzig. Mein Herz krankt daran, und es hungert nach ein wenig Geborgenheit im Schoße einer richtigen Familie und nach einer Heimat unter friedvollen und glücklichen Menschen, die in den Traditionen des heiligen Festes Ihr wahres Zuhause gefunden haben. Als ich draußen an Ihrem Fenster vorbeistreunte, roch es so perfekt nach Weihnachtsplätzchen, mir stieg der heimelige Hauch Ihrer Tannennadeln in die Nase, und ich verspürte den Duft einer Gans im Ofen, wie sie ihn nur zu Weihnachten zu versprühen in der Lage ist. Da wusste ich: Sie machen alles richtig! Hier wohnt eine richtige Familie mit dem Herzen am rechten Fleck.
Harald: Aha. Ja. Friedvoll sind wir. Und wieso, ich meine warum, ich meine was, ich meine...
George: Ich bin ein einsamer Mann. George fühlt sich allein, verstehen Sie? So etwas wie eine richtige Familie ist mir verwehrt. Es ist Weihnachten. Verwehren Sie sie mir nicht auch, ich bitte Sie. In Gedenken an Seine Geburt.
Harald: Wessen Geburt?
Michael: Er meint Jesus. Was Religiöses, Papa. Egal.
Harald: Warten Sie bitte kurz.
Er nimmt die Tür und überlegt erkennbar, ob er Sie vor dem Mann zumachen, anlehnen oder offen lassen soll. Er entschließt sich, sie halb zu schließen.
Habt ihr das mitbekommen? Ein Obdachloser will, dass wir ihn reinlassen.
Hilde: Der hätte sich wirklich einen angenehmeren Tag aussuchen können.
Michael: Er hat doch gesagt, dass er sich gerade heute nach einer Familie sehnt.
Harald: Wieso tut er das?
Hilde: Er hat wahrscheinlich einfach Hunger. Obdachlose haben immer Hunger. Die kennen keine Feiertage. Die haben ja immer frei.
George öffnet die Tür ganz.
Michael: Was du meinst, sind Arbeitslose, Mama. Aber was soll´s, lassen wir ihn doch reinkommen. Wird vielleicht nett. Eine sympathische Abwechslung.
Hilde: Liebling, reg deinen Vater nicht auf.
Harald: Es zieht herein. Also was soll ich jetzt machen?
George putzt seine Schuhsohlen an der Türmatte ab, tritt ein und schließt die Tür hinter sich.
Hilde: Ich weiß nicht. Aber entscheide bitte schnell, wir haben noch viel zu erledigen.
Harald ungeduldig, aber auch unsicher: Also schick ich ihn weg?
Hilde: Und die Videokamera läuft schon die ganze Zeit. Willst du das wirklich alles mitfilmen?
Harald unwillig: Aber wo. Der Bub kann das alles ja zusammenschneiden. Ist ja ein großer Künstler.
Trotzdem macht er sich an die Videokamera, drückt auf den Knopf, dann fällt ihm eine Funktion auf, die er noch nicht kannte, und er spielt ein bisschen daran herum. In der Zwischenzeit ist George am Esstisch angekommen.
George: Hi. Ich bin George.
Michael freut sich über die damit offenbar getroffene Entscheidung und streckt George seine Hand entgegen: Hi. Ich heiße Michael.
George: Das ist ja witzig. Ich bin entzückt. Zu Hilde: Gnädige Frau, ich danke Ihnen für den noch gnädigeren Einlass, und es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen und den Heiligen Abend mit Ihnen zu verbringen. Sie retten mir wirklich das Leben.
Hilde etwas zögerlich: Aber das ist doch selbstverständlich. Weihnachten ist die Zeit der guten Taten. Oder ist das Ostern, Liebling? Nein, ich glaube, es stimmt schon.
George: Dieses Jahr bedeutet mir das Fest ganz besonders viel, gnädige Frau. Es hätte mir das Herz gebrochen, Weihnachten heuer in Einsamkeit zu verbringen.
Hilde: Kann ich Ihnen was anbieten? Die Gans muss noch ein bisschen auskühlen, bevor sie servierfertig ist, aber ich habe jede Menge Weihnachtsbäckereien. Anisscheiben, Bauernbrotlaibchen, Butter...
Michael: Ich empfehle die Anisscheiben. Die schmecken hervorragend und ersparen mir jede Menge Peinlichkeiten. Und ja, es ist unkonventionell, unmittelbar vor dem Abendessen Süßigkeiten in sich hineinzustopfen, aber ich rate zu unbedingtem Gehorsam zu Ihrem eigenen Besten.
George: Dem jungen Mann ist anzusehen, dass er einen exquisiten Geschmack besitzt. Ein paar Anisscheiben, sozusagen als Aperitif, würden mich sehr glücklich machen.
Hilde macht sich auf die Suche nach den richtigen Plätzchen.
Sie filmen?
Harald: Ich habe mir dieses Jahr eine neue Kamera gekauft.
George: Wirklich?
Harald: Na ja, wissen Sie, nach fünfundzwanzig Jahren. Man muss ja mit der Zeit gehen.
Er lacht kumpelhaft. George lacht höflich mit.
Eine Toshiba P10 Camileo. Auch nicht mehr die neueste, aber dafür nur 99 Euro. Die hat einen viel behutsameren Zoom, ist digital und bietet Fernsehqualität.
George: Und Sie fertigen ein Heimvideo an? Das ist ja reizend.
Harald: Dass man halt eine Erinnerung hat.
Michael ironisch entschuldigend: Wir machen das jedes Jahr. Und überraschenderweise sieht es immer irgendwie gleich aus, außer dass die Personen älter geworden sind. Aber das ist eigentlich egal, weil sich die Meisterwerke nie jemand ansieht.
Harald: Mein Sohn ist ein großer Dichter. Jetzt kann er damit einen künstlerischen Hollywoodfilm drehen und berühmt werden. Nicht wahr, Bub?
Michael ignoriert ihn: Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen, George?
George: Nur zu, mein Freund.
Michael: Sind Sie George Michael?
George: Der bin ich.
Michael: Dachte ich es mir doch. Begeistert: Und darf ich du sagen?
George: Ich bin Engländer. Mir ist das egal.
Michael noch begeisterter: Und ist dir bewusst, dass du dir hier gerade ziemlich unverschämt und ungeladen Zutritt verschafft hast?
George: Wieso das?
Michael: Du wurdest nicht hereingebeten.
George: Oh, tatsächlich? Na ja, kann passieren. Ich bin Engländer. Mein Deutsch ist ein wenig mangelhaft...
Black. Ende der Szene