Burg- und Volkstheater konkurrieren mit albtraumartigen Thomas-Bernhard-Abenden
Es ist Thomas-Bernhard-Jahr. Österreichs liebster Weltliterat und „Nestbeschmutzer“ wäre diesen Februar 90 geworden. Dass dennoch am 26. Mai parallel zwei neue Bernhard-Inszenierungen zeitgleich Premiere hatten, ist ein Zufall infolge des lockdownbedingten Produktionsstaus. Zum Glück sind „Der Theatermacher“ in Kay Voges’ und „Die Jagdgesellschaft“ in Lucia Bihlers Inszenierung komplett verschieden und beide sehenswert.
„Frauen machen Theater, Männer sind Theater, das ist die ganze Schwierigkeit“, erklärt der Theatermacher Bruscon großspurig. Interessanterweise bewahrheitet sich das beim Inszenierungsvergleich, wobei man die abschätzige Wertung weglassen muss. Die junge Regisseurin Lucia Bihler legt auf „Die Jagdgesellschaft“ ein strenges ästhetisches Konzept an. Beinahe jede Geste ist exakt choreografiert, die Sprechdurchfälle der drei Hauptfiguren folgen Jörg Gollaschs meisterlichem, albtraumhaften Score, der fast nie Pause macht. Die Riege der meist stummen Nebenfiguren wird in den fünf Räumen des reich ausgestatteten Jagdhauses (Bühne: Pia Maria Mackert) zu schauerlichen Bildern gruppiert. Über zwei Wiener Sängerknaben in Röckchen wird Stanley Kubricks „Shining“ zitiert, der langfingrige Holzknecht Asamer könnte aus Draculas Schloss stammen.
Die stärkste ästhetische Prägung: Die gesamte Ausstattung ist rot, wirklich alles bis hin zum Lack und Leder der barocken Kostüme. Allein wegen seiner Farbe wird man diesen Abend so schnell nicht vergessen. Doch auch das düstere Stück, das Bernhard einmal als sein bestes bezeichnete, bringt Bihler mit ihrem Konzept zur Geltung. In „Die Jagdgesellschaft“ wird ein General von seiner Entourage und seiner Frau darüber im Dunklen gelassen, dass er todkrank ist, zurücktreten muss und sein gesamter Wald von einem Borkenkäfer befallen ist. Während er auf der Jagd ist, vertreibt ein Schriftsteller als Hausgast der Generalin mit Siebzehnundvier und existenzialistischen Gedankengängen die Zeit.
In dieser Version scheint der von Markus Scheumann gespielte Schriftsteller die ganze groteske Szenerie zu erträumen, er denkt und trinkt sich in eine depressive Nachdenklichkeit hinein, die Maria Happel und Martin Schwab als Generalspaar immer nervöser und geschwätziger macht. Am Ende ist dann doch der General der Selbstmörder, die Jagdsaison beendet.
Indes eröffnet Kay Voges nun endlich so richtig seine Intendanz im renovierten Haus. Er „ist Theater“ ganz wörtlich, zumindest solange der Schauspieler Uwe Rohbeck den Theatermacher im „Theatermacher“ spielen darf. Die Frisur, der gestreifte Anzug, das offene Hemd: eindeutig der Chef, der sich bei seinem Einstand ironisch-ikonisch verewigt. Auch sonst gilt in dieser Inszenierung, die er aus seiner vorigen Wirkungsstätte, dem Schauspiel Dortmund, mitgenommen hat, mehr „Theater sein“ als „Theater machen“. Präsenz, Spielwut und Individualität der Schauspieler stehen im Vordergrund, wenn Bernhards gut zehn Jahre nach der „Jagdgesellschaft“ entstandene Komödie gleich mehrmals durchgespielt wird.
Mehr im Falter 22/21