Robert Ickes an heutigen Identitätsdiskursen geschärfte Schnitzler-Bearbeitung "Die Ärztin" macht weiter die Runde. Regisseur Miloš Lolić hat das Stück jetzt am Residenztheater München inszeniert und zeigt, wann Identität eine Rolle spielt.
22. November 2024. Seit der Brite Robert Icke seine Arthur-Schnitzler-Bearbeitung "Die Ärztin" Anfang 2022 selbst am Wiener Burgtheater inszenierte, macht das Drama die Runde im deutschsprachigen Raum. Häusern wie der Burg gibt es die Möglichkeit, zu zeigen: Schaut her, wir haben ein diverses Ensemble. Icke nimmt die Handlung von Schnitzlers "Professor Bernhardi" – ein jüdischer Arzt, der einem katholischen Priester den Zugang zu einer sterbenden Sepsispatientin verweigert, wird Opfer antisemitischer Intrigen – und versetzt ihr in unserer schwierigen Ära identitätspolitischer Schlachten ein paar zusätzliche Drehs.
Dabei spielt Robert Icke geschickt mit einem Meta-Mittel, das in der angloamerikanischen Theaterwelt längst üblich ist, bei uns allerdings noch für Irritation sorgt: der "farbenblinden" Besetzung. Während Frauen mittlerweile recht umstandslos Männerrollen spielen und umgekehrt, wollen gerade in "realistischen" Dramen immer noch optische Illusionen aufrechterhalten werden. Blutsverwandtschaft etwa: Kann eine PoC die Tochter zweier Weißer spielen? Theoretisch natürlich. In der Praxis kommt es kaum vor.
Kluge Auswüchse des Diskurs
Deshalb dauert es in der Regel, bis beim Publikum der Groschen fällt: Dass Cathrin Störmer einen Arzt namens Michael spielt, okay. Aber als nach exakt einer Stunde erstmals erwähnt wird, der betroffene Priester sei ein Schwarzer gewesen, geht auch im Münchner Cuveillèstheater verlässlich ein existenzielles Raunen durch den Saal. Denn Thomas Reisinger ist ein weißer Schauspieler, der bald darauf auch als Vater der verstorbenen Patientin auftritt, und der ist ... weiß man nicht. Identität, das zeigt uns Icke klug auf mehreren Ebenen, spielt eben erst eine Rolle, wenn sie angesprochen wird.