Anfang und Abschied in Wien: Die neue Burg-Direktion startet mit „Hamlet“, Kay Voges setzt mit „Bullet Time“ den Startschuss zum Showdown am Volkstheater
Die Direktion Stefan Bachmann am Burgtheater beginnt mit Geistern, nur eben alles andere als gespenstisch. Zahlreiche Menschen mit Bettlaken überm Kopf, jeweils zwei kleine Löcher für die Augen, bevölkern drei unterschiedlich große Scheiben, die Katrin Brack auf der Bühne platziert hat. Die wie gezeichnet aussehenden Spukgestalten starren dann also nach vorne und warten auf ihr Stichwort. Ein gewollt lächerlicher Anblick, ein Augenzwinkern zum Start.
Benny Claessens steht da auch, als Einziger unverhüllt. Auch er konfrontiert sich lange schweigend mit dem Wiener Publikum, das gespannt darauf wartet, wie die neue Ära losgeht. Jenem Publikum, dem der Direktor noch im April leichtsinnig Ifflandring-Träger Jens Harzer an dieser Stelle versprochen hatte. Harzer stieg kurz nach Probenbeginn aus, mutmaßlich aufgrund künstlerischer Differenzen. Denn er wäre nicht der einzige Hamlet in diesem „Hamlet“ gewesen, auch der durchaus prominente Ersatzgast Claessens ist es nicht. Regisseurin Karin Henkel hat die Titelrolle in ihrer Eröffnungsinszenierung fünf von sieben Schauspieler:innen gegeben.
Außerdem wird hier zwar Shakespeare-Text in der griffigen Übersetzung von Angela Schanelec und Jürgen Gosch zu hören sein, dazu aber auch vieles andere, dessen Quelle unklar bleibt (das Haus durfte keine Spielfassung herausgeben), das aber vermutlich auf Improvisationen und eigenen Gedanken der Beteiligten basiert. Kein Wunder, dass Harzer als eher humorloser Vertreter traditionellen Spiels hier nicht mitmachen wollte. Es ist gut so – für ihn und für die Inszenierung. Denn die ist dadurch frei, sich mit dem vielleicht meistgesehenen Drama der Welt so manchen Na-sowas-Moment zu erlauben.
Ein erster ist, dass Claessens in kurzen Hosen und langen Socken den braven Buben Hamlet verkörpert (der später ein trotziger, schlimmer Bub wird) und schlicht und klar seine ersten Zeilen deklamiert (wieder später, wenn er sich die Figur des Polonius überzieht, sind Claessens’ Manierismen dann eh wieder da). Die nächste heitere Überraschung folgt, als sich einer der Geister sein Laken vom Kopf reißt – und Michael Maertens ist. Der langjährige Burgschauspieler und profilierteste Schmierenkomödiant des Hauses gibt für einen Moment den unzufriedenen Regisseur und empört sich über den Unsinn um ihn herum, nimmt dabei Teile von Hamlets Anweisungen an die Schauspieler vorweg, die die Ermordung seines Vaters im dritten Akt nachstellen sollen. Und wer denn bitte für dieses Kind – ein kleines Gespenst ist ebenfalls anwesend – verantwortlich sei?
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