Sieben Sommer lang gestaltete Bettina Hering das Sprechtheaterprogramm der Salzburger Festspiele. Sie erneuerte den „Jedermann“, erhöhte die Frauenquote und verwirklichte ungeahnte Kopfgeburten. Jetzt hört die Schweizerin auf
Vor Vorstellungsbeginn ergreift die Schauspielchefin der Salzburger Festspiele das Mikrofon. „Sie wollen nicht mich sehen, ich weiß“, sagt Bettina Hering, um den Sachverhalt zu schildern und das Publikum bei Laune zu halten. So steigt sie immer ein, wenn etwas nicht so ist, wie es sein sollte – etwa bei spontanen Umbesetzungen.
„Sie wollen nicht mich, sie wollen den Jedermann sehen“, hieß es diesen Sommer einmal auf dem Domplatz, als es noch tröpfelte, die Ponchos ausgegangen waren und sich das Orchester trotzdem auf einen Abend im Freien einstimmte.
Hering erklärte, das Wetter sei instabiler als angekündigt. Die Aufführung werde jetzt aber dennoch beginnen. Sollte doch noch eine Übersiedlung ins Festspielhaus folgen, würde man dies bestimmt mitbekommen. Die Leute lachten, der „Jedermann“ ging los, der Regen hörte auf und kehrte brav erst zehn Minuten nach dem Schlussapplaus wieder.
Für das Wetter ist Bettina Hering nicht verantwortlich, aber den Eindruck effizienter Krisenbewältigung hinterlässt die Schweizerin doch, wenn sie nach sieben Jahren als Schauspielchefin die Salzburger Festspiele verlässt. Ihre letzte Premiere „Die Wut, die bleibt“ ging vergangenes Wochenende unter großem Jubel über die Bühne.
Bevor die Festivalausgabe am 31. August endet, versammelt Hering noch dreizehn Schauspielerinnen zu einer Marathonlesung von „Das andere Geschlecht“, dem Hauptwerk der französischen Philosophin und „Ur-Feministin“ Simone de Beauvoir.
Behutsamer Feminismus ist ein sichtbarer Verdienst von Hering: Als erste Frau in ihrer Position gab sie Autorinnen und Regisseurinnen im Programm eine Stimme. Das ging sie unaufdringlich an, um das tendenziell konservative Festspielpublikum nicht zu verschrecken: Im Sommer 2017, als sie neben Intendant Markus Hinterhäuser ihre Funktion übernahm, eröffnete sie (nach dem „Jedermann“) mit zwei etablierten Regisseurinnen: Andrea Breth und Karin Henkel inszenierten Stücke von Harold Pinter und Gerhart Hauptmann mit sicherer Hand und namhaften Ensembles.
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