Die Guillotine: wartet schon. In Stephan Kimmigs Version von Georg Büchners berühmten Revolutionsstück geht die Gesamtlage allen im wahrsten Sinne an die Nieren. Das Heidelbeger Ensemble bringt einen Abend zum glänzen, bei dem der Horror nicht nur in den Köpfen wohnt.
12. Oktober 2023. Lacroix und Philippeau ist übel. Ihr Genosse Hérault leitet daraus schlüssig und ausführlich einen logischen Beweis für die Nichtexistenz Gottes ab. So glaubhaft steigert sich der Schauspieler Daniel Friedl in die Argumentation hinein, dass ihm der Wahnsinn aus den Augen und der Schweiß aus den Poren tritt. Im Takt dazu ächzen und krümmen sich erbarmungswürdig Steffen Gangloff und Friedrich Witte – vor Schmerzen und weil sie wollen, dass er aufhört. Der ganze Atheismus gipfelt gar griffig in der Frage: "Warum leide ich?"
Alle plagt etwas
Diese Szene im dritten Akt zeigt exemplarisch, wie Stephan Kimmig an Georg Büchners sperriges Historiendrama "Dantons Tod" herangeht. Alle plagt etwas, kein Wunder in Zeiten des Abschlachtens und des Tugendterrors. Diese Not, dieses allseits verbreitete "Zucken des Schmerzes", macht er sich zum Konzept. In den Neunzigern war Kimmig Hausregisseur am Theater Heidelberg, nun kehrt er mit 64 zurück und bringt das recht junge Ensemble in einer fiebrig temporeichen Klassiker-Interpretation zum Glänzen.
Elf Figuren für zehn Spieler:innen belässt die Strichfassung, ungewöhnlich viel für eine zeitgenössische Inszenierung. Umso bemerkenswerter, wie viel Gewicht oft gestrichene Nebenfiguren hier erhalten. Esra Schreier gibt neben der lieblichen Lucille auch St. Just aus dem gegnerischen Team, den Jakobinern. Danton ist eine Frau, verkörpert von Antonia Labs, aus der Gemahlin Juliette wurde Gatte Jules (Leon Maria Spiegelberg). Zudem flirtet Danton heftig mit Marion (Lisa Förster). Wenn das eine Botschaft hat, dann höchstens die, dass die Kinder der Revolution für Genderdebatten nun echt keinen Nerv haben.