Packendes Doku-Theater
Ist das hier ein Raum? Diese scheinbar unsinnige Frage lässt sich nur im Kontext der höchst bizarren Vernehmung verstehen, der sich eine Amerikanerin namens Reality Winner im Juni 2017 unterziehen musste. FBI-Agenten standen vor ihrer Tür und wollten ihr Haus untersuchen, denn Frau Winner stand unter Verdacht, geheime Informationen geleakt zu haben.
Das Stück „Is This a Room“ der New Yorker Truppe Half Straddle ist ein wörtliches Reenactment des Tonmitschnitts, den einer der Beamten – im Sinne der Transparenz, schließlich machten sie nur ihren Job! – von der Begegnung mit Frau Winner anfertigte. Die Datei ist in den USA öffentlich zugänglich, und die Regisseurin Tina Satter ließ sie ihr Ensemble Wort für Wort lernen. Alle Versprecher und „Äh“s werden ungeglättet in die Körper der Spielerinnen und Spieler übersetzt. Die Bilder, die Satter wählt, sind dagegen alles andere als realistisch, sondern übersetzen die groteske Szene in Theaterkunst.
Und da dieser fantastische Doku-Thriller nicht weniger spannend ist, wenn man das Ende weiß (das sich, da Realität, leicht googeln lässt): Reality Winner wurde nach dem Spionagegesetz zu einer unverhältnismäßig langen Haftstrafe verurteilt. Als das Stück 2019 in New York Premiere hatte, saß sie noch ein. Inzwischen ist sie frei.
13. bis 16. Juni, MuseumsQuartier, Halle G
Politische Choreografien
Tanz mit politischem Unterfutter: Diesen Anspruch erfüllen bei den diesjährigen Festwochen gleich mehrere Produktionen. Den Auftakt macht der brasilianische Starchoreograf Bruno Beltrão, für den das Label politischer Tanz ganz besonders gilt. Seine Arbeiten scheinen mit der Zeit den flüssig berieselnden Gleichtakt immer mehr zu verweigern, ebenso wie Titel. Beltrãos neueste „New Creation“, die zu Ostern am Frankfurter Mousonturm ihre Uraufführung feierte, bringt zehn Tänzerinnen und Tänzer auf leisen Sohlen – die meisten tragen tatsächlich Socken – in krass wechselnden Lichtstimmungen zu den verschiedensten rätselhaften Szenen zusammen. Jede, oft sehr kleine, Bewegung scheint nach einem undurchsichtigen Prinzip die nächste zu provozieren, eine latente Aggression liegt in der Luft, bricht sich aber nie ganz Bahn. Im Kopf des Publikums dräut sich eine vage Vorstellung über das unangenehme Leben unter dem brasilianischen Trump, Präsident Jair Bolsonaro, zusammen. Beltrãos Landsfrau Lia Rodrigues zeigt, nach ihrem Festwochen-Besuch mit „Fúria“ 2019 zu schließen, vermutlich furioseren Tanz („Encantando“, 29. bis 31. Mai, Odeon), und die Marokkanerin Bouchra Ouizgen begehrt mit ihrer Choreografie für lauter Frauen gegen die Stressgesellschaft auf („Éléphant“, 6. bis 8. Juni, Odeon).
24. bis 28. Mai, Museumsquartier, Halle G
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