Seit Oktober erklärt sich das Schauspielhaus Wien zum Hotel. Theater gibt es trotzdem reichlich
Das Schauspielhaus Wien ist ein Chamäleon. Mal schaut die Zuschauertribüne in die eine Richtung, mal in die andere – wenn es überhaupt eine Bestuhlung gibt. Schon oft, seit Tomas Schweigen die künstlerische Leitung der Mittelbühne 2015 übernahm, betrat man den Saal in der Porzellangasse durch eine Tür, die vorher nicht da war, und verlor sofort die Orientierung. Bis Ende Februar ist räumlich wieder alles ganz anders.
„Wir haben das Schauspielhaus zu einem Hotel umgebaut“, sagt Schweigen. „Sagen wir: zu einer Hotelinstallation. Damit wollen wir einen anderen Begegnungsort schaffen für das Publikum, für die verschiedenen Künstlerinnen und Künstler, die wir eingeladen haben, und für uns selbst. Außerdem geht es darum, unsere Arbeitsprozesse transparenter zu gestalten.“
Seit Oktober kann man am Wochenende hier Einzel- und Doppelzimmer buchen. In den 65 Euro ist dann nicht nur auch das Abendprogramm im weiterhin vorhandenen Theatersaal enthalten, sondern auch Zugang zu allem, was am Nachmittag hier stattfindet. „Wir zeigen Performances in Zimmern, vieles findet gleichzeitig statt“, beschreibt Schweigen atemlos das Gewusel in den verwinkelten Gängen des wahrlich kaum wiederzuerkennenden Gebäudes. „Filmbeiträge laufen über unsere Fernseher in den Zimmern, es gibt Radiosendungen aus einem eigenen Studio. Verschiedene Genres treffen und befruchten einander.“
Nachts ist Ruhe, das kann der Direktor bestätigen. „Gleich in der ersten Nacht habe ich in einem Zimmer übernachtet und sehr gut geschlafen“, schmunzelt er. Die bittere Ironie: Seit dem Gespräch mit Schweigen im November wurden die CoV-Verordnungen mehrmals geändert. Derzeit gilt eine Sperrstunde um 22 Uhr. Da das Schauspielhaus offiziell weiterhin als Kultur-, nicht Beherbergungsbetrieb firmiert, darf man dort derzeit nicht übernachten. Bis zur Aufhebung der Sperrstunde ist das Hotel also kein Hotel.
Das Programm bleibt dennoch vielfältig. Wer für den Nachmittags- und/oder Abendslot eincheckt, darf sich von unzähligen Interventionen, Installationen und offenen Proben überraschen lassen. Die aktuelle Hauptabendproduktion ist „Bataillon“, die österreichische Erstaufführung eines Stückes der gehypten deutschen Autorin Enis Maci. Eine Gruppe von Weberinnen, erkennbar an einem wuchtigen Webstuhl ohne Garn in der Bühnenmitte, erforscht darin Biografien von Frauen, aber auch Männern, die mit dem Weben im weitesten Sinne zu tun haben, also auch mit dem (World Wide) Web. Auch Geflechte, die in der Natur vorkommen, sind ein zentrales Motiv.
Weiter im Falter 1-2/22