Der Tänzer und Choreograf Trajal Harrell über seine innovative Arbeit und seine Auftritte beim Impulstanz-Festival
Trajal Harrell freut sich enorm auf Impulstanz. 2020 fiel das Festival durch Corona aus, 2019 konnte er verletzungsbedingt nicht teilnehmen. Dafür zeigt Harrell heuer gleich zwei Arbeiten in drei Tagen. Der 48-jährige US-Amerikaner, der in Athen lebt, gehört zu den wichtigsten Innovatoren zeitgenössischer Tanzkultur. Queere und afroamerikanische Traditionen kombiniert er mit dem sperrigen japanischen Stil des Butoh. Zwischendurch darf es aber auch deutsches Stadttheater sein. Vor dem Festivalzirkus gönnt sich Harrell noch einen Inselurlaub. Bei wackliger Verbindung traf er den Falter zum Zoom-Gespräch.
Falter: Mister Harrell, Sie haben Ihr Stück „Dancer of the Year“ entwickelt, nachdem Ihnen 2018 überraschend ein wichtiger Tanzpreis zugesprochen wurde. Ihre Art Tanz sei nicht die, die normalerweise ausgezeichnet wird, haben Sie gesagt. War der Preis ein Unfall oder Hinweis auf eine Entwicklung in der Szene?
Trajal Harrell: Gute Frage. Dieser Preis geht an klassische und zeitgenössische Tänzerinnen und Tänzer. Ich mische die Theorie der Voguing-Tradition mit Laufstegbewegungen aus dem Modebereich. Das galt bisher überhaupt nicht als Tanz, ich musste dafür im Kanon erst eine Nische schaffen. Wahrscheinlich war der Preis eine Anerkennung, dass meine Arbeit besser etabliert ist.
Dennoch hat er Sie so sehr irritiert, dass Sie ein eigenes Stück darüber gemacht haben.
Harrell: Irritiert hat mich, wie geschmeichelt ich mich gefühlt habe. Ich bin kein Künstler, der Beifall heischt oder auf Preise hofft. Man muss auch arbeiten, wenn man keine Zustimmung erfährt. Also habe ich mich über diese Auszeichnung natürlich erst einmal lustig gemacht: „Haha, ja genau.“ Aber dann musste ich feststellen, dass ich mich darüber freue. Mit diesem Widerspruch wollte ich mich auseinandersetzen.
Wie wurden Sie im Tanz sozialisiert?
Harrell: Ursprünglich komme ich vom Theater. Haben ich als Student am Konservatorium für Schauspiel kleine Szenen inszeniert, waren die immer choreografisch. Sprechen hat mich nicht interessiert.
Woher kommt die Liebe zum Tanz?
Harrell: Die war immer schon da. Im Alter von acht bis elf habe ich Gymnastik gemacht. Damals bat ich meinen Großvater immer, mich um vier vom Turnen abzuholen. Die Stunde endete aber schon um drei. Dazwischen schaute ich den Mädchen beim Ballettunterricht zu. Das habe ich niemandem erzählt. In meiner Kleinstadt im Südosten von Georgia war damals völlig klar, dass Ballett nichts für Buben ist, und ich hätte mich nie getraut zu fragen, ob ich teilnehmen darf. Aber zugeschaut habe ich mit Begeisterung: Die kleinen pinken Trikots und Schleifchen und das Rituelle an dem Prozess haben mich fasziniert.
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