Das Burgtheater zeigt das beliebte und makabre Volksstück „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Dabei wird allerlei ausprobiert, nicht immer mit Erfolg.
Aufführungen sind Proben ohne Regisseur. Der Spruch, der ihm im Programmheft zu „Geschichten aus dem Wiener Wald“ präsentiert wird, gefällt Johan Simons außerordentlich gut. Der 75-jährige Intendant des Bochumer Schauspielhauses probiert gerne alle möglichen Ideen aus und verschleiert nicht, dass er in ihre Unvollkommenheit irgendwie verliebt ist. So auch am Burgtheater, wo kurz vor einem österreichweiten Corona-Lockdown gerade noch die Premiere seiner Inszenierung über die Bühne ging. In Wien ist die tragische Glückssuche des biografisch zwischen Monarchie und Faschismus eingeklemmten Österreichers Ödön von Horváth (1901–1938) ein viel gespielter Hit besonders wegen des unschlagbar makabren Moments, als nach einem hart erkämpften „Ende gut, alles gut“ eine alte Frau ein kleines Baby ermordet. Da bleibt kein Auge trocken.
Schauplätze wie die stille Straße im achten Bezirk, den Badeplatz an der schönen blauen Donau und das Varietélokal Maxim hat Bühnenbildner Johannes Schütz zu einer drehbaren Arena zusammengemanscht, über der auf einer Seite eine schlichte weiße Hausfassade baumelt – Symbol für die Suche nach dem Glück vom trauten Heim –, auf der anderen eine stilisierte Schaufensterreihe, die zeigt, welche einfachen Geschäftsleute hier arbeiten: die Trafikantin Valerie, eine wohlhabende Witwe (Sylvie Rohrer), ein Scherzartikelhändler, den sie den Zauberkönig nennen (Oliver Nägele), mit seiner Tochter Marianne (Sarah Viktoria Frick) und deren Kindheitsfreund und Bräutigam Oskar, ein Fleischhauer, also Metzger (Nicholas Ofczarek).
Parallel dazu lernt man früh auch den wettsüchtigen Hallodri Alfred (Felix Rech), seine Mutter (Annamária Láng) und Großmutter kennen – die schon erwähnte Babykillerin wird von Gertrud Roll mit so zänkisch böser Energie dargeboten, wie man sich das in Wien erwartet. Praktisch das gesamte Ensemble, verstörend prominent besetzte Nebenfiguren wie Maria Happel als Baronin und Martin Schwab als Rittmeister eingeschlossen, ist auch in den kammerspielartigen Zweier- und Dreierszenen stets präsent. Wer nicht wie Ersatzspieler beim Sport auf Bänken hinten im Halbdunkel wartet, streift gedankenverloren über die Bühne. Immer wieder hat man anfangs Gelegenheit, diese Gestalten in ihren White-Trash-Kostümen (Greta Goiris) zu beobachten, wenn zur Feier der legendären Horváthschen Regieanweisungen „Pause“ und „Stille“ die Dialoge abbrechen und alle ein paar Atemzüge an Ort und Stelle verharren. Johannes Zirner in der Minirolle des Hierlinger Ferdinand tut einem besonders leid: Er hat die meisten leeren Meter und den absonderlichsten Pullover.
Weiter in der Welt vom 23. November 2021