Auftrag
Halten eines Einführungsvortrags zu „Jungle Book reimagined“ der Akram Khan Company
Auftraggeber
Festspielhaus St. Pölten
Beginn des Vortrags
Mein Name ist Martin Pesl, ich bin Übersetzer und freier Kulturjournalist aus Wien – und Brigitte Fürle ist recht kurzfristig Ende März auf die Idee gekommen mich zu fragen, ob ich nicht am 7. April (vor genau einem Monat) nach Leicester reisen möchte, das ist eine Industriestadt nördlich von London ungefähr in der Größe von Graz. Dort gibt es ein großes Theater für Schauspiel, Oper, Musical und Tanz, das Curve Theatre, wo die Akram Khan Company schon seit einiger Zeit ihre großen Produktionen fertigstellt und zur Uraufführung bringt. Akram Khan ist dort ein so genannter Associate Artist. Und so durfte ich zur „Press Night“, das ist im englischsprachigen Raum sowas ähnliches wie die Premiere, „Jungle Book reimagined“ sehen, die neueste Tanztheaterproduktion in der Choreografie, pardon: in der Regie von Akram Khan – er bezeichnet sich hier zum ersten Mal als „director“, als Regisseur. Die Produktion ist dann, soweit ich weiß, noch ein paar Mal im Curve Theatre gelaufen und hat jetzt heute hier ihre Premiere nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern überhaupt in ganz Kontinentaleuropa.
Akram Khan selbst muss man dem treuen Publikum hier wahrscheinlich nicht vorstellen, aber ich bin hier, um eine Einführung zu halten, also tu ich’s trotzdem: Wenn Sie regelmäßig das Festspielhaus St. Pölten besuchen, dann haben Sie Akram Khan wahrscheinlich schon hier erlebt. Er war hier 2014 zusammen mit Israel Galvan in der Produktion „Torobaka“ und davor 2013 mit seinem wahrscheinlich bekanntesten Solostück „Desh“, in dem er seine Jugend zwischen den sehr unterschiedlichen Polen England und Bangladesch aufbereitet. Zuletzt ist Akram Khan 2018 hier im Festspielhaus persönlich aufgetreten, mit seiner allerletzten Soloperformance als Tänzer, die den Titel „Xenos“ trug – da war er immerhin schon 43. Seine vorige Gruppenarbeit „Outwitting the Devil“, bei der er nur noch als Choreograf und künstlerischer Leiter tätig war, hätte hier im Mai 2020 seine Österreich-Premiere feiern sollen, die ist aber dem ersten Corona-Lockdown zum Opfer gefallen, dafür lief sie letztes Jahr in Wien beim ImPulsTanz-Festival. (Und – jetzt, wo Sie eh schon hier sind, kann ich’s Ihnen ja verraten: Auch „Jungle Book reimagined“ wird diesen Sommer bei ImPulsTanz zu sehen sein.)
Akram Khan ist 1974 in London geboren und dank seiner aus Bangladesh stammenden Eltern mit der Tanz- und Aufführungskunst des Kathak aufgewachsen. Der Kathak ist ein nordindischer Tanzstil, eine der acht Hauptformen klassischen indischen Tanzes. Mit der Verbindung von Kathak und zeitgenössischem Tanz ist Akram Khan letztlich auch berühmt geworden. Und obwohl der Kathak aus seinen Arbeiten komplett verschwunden ist, seit er selbst nicht mehr mittanzt, gilt immer noch, was Akram Khan dazu sagt: „Der Körper hat mehrere Funktionen, „er kann nie nur eine Sache machen. Dadurch transzendiert der Tanz zu metaphorischem Geschichtenerzählen.“ Und das Wort Kathak bedeutet tatsächlich ursprünglich „der eine Geschichte erzählt“. Körper und Bewegung dienen also nicht in erster Linie dazu, Schönheit auszustrahlen, sondern auch eine Entwicklung, eine Handlung zu vermitteln, in diesem Fall sogar ganz konkret, auch mit Dialog und Text. Dieser Part des Erzählens einer Geschichte, durchaus auch mithilfe von Text, wird umso wichtiger, weil die aktuellen Tänzer:innen der Akram Khan Company eben keine klassische indische Tanzausbildung mehr haben und der Leiter keinen Sinn darin sieht, ihnen diese Bewegungen aufzuzwingen. …