Miguel de Cervantes Saavedra
Don Quijote von der Mancha
Deutsch von Susanne Lange
Hanser Verlag, € 70,00
Der WIENER liest für Sie Klassiker der Weltliteratur. Diesmal ein Roman, der hat an Jahr' wie der WIENER Exemplar', oder: das beste Buch der Welt
“Da erst hüpft das Herz, da kämpft man mit dem Lachen, da zuckt der ganze Leib, kurzum: Quecksilber in allen Sinnen.”
Traurige Gestalt. Alles beruht auf einem simplen Witz, einer Persiflage: Ein Mann hat zu viel Fantasy gelesen und glaubt, es sei was Wahres dran. Er heuert einen einfältigen Ziegenhirten an, sattelt ein altersschwaches Pferd, zieht los und durchquert als fahrender Ritter die iberische Halbinsel. Die Menschen, denen er begegnet, erkennen, dass er total gaga ist, finden ihn aber so lustig, dass sie mitspielen. So wird bis zu einem gewissen Grad der Wahn wahr.
Die genial einfache Prämisse des „geistvollen Hidalgo Don Quijote von der Mancha“ von Miguel de Cervantes wuchs sich zu zwei Teilen von über 1000 Seiten aus. Seitdem hat jedes Kind ein Bild vom dürren Bärtigen, der stolz den Beinamen „Ritter von der traurigen Gestalt“ vor sich herträgt; von seinem gedrungenen Knappen, dem Vielfraß Sancho Panza; vom treuen, aber armseligen Pferd Rocinante und von der platonisch zutiefst verehrten Dulcinea von Todoso, die keineswegs eine Prinzessin, sondern eine resche Bauernmagd ist – wobei: auch das ist nicht sicher, niemand traf sie je persönlich an. So traurig wie lustig sind die Kämpfe dieser beharrlichen Möchtegernhelden gegen Windmühlen, Weinschläuche und verkleidete Schauspieler. Eingeflochtene Novellen von Liebenden und Rivalen, Kämpfern und Glaubensgestörten bilden – ganz ohne fantastische Elemente – eine treffliche Karte des goldenen Zeitalters von Spanien ab.
Der 1605 in wenigen Kopien veröffentlichte erste Teil seiner als lehrreiches Gegenstück zur blühend unsinnigen Ritterliteratur Spaniens erdachten Geschichte wurde so erfolgreich, dass Cervantes die Berühmtheit des Werks in geradezu postmoderner Manier in Teil II einbaute und wiederum persiflierte. Sogar aufs Thema Fan-Fiction griff er – genau 400 Jahre ist das her – vor: Denn wie Don Quijote und Sancho Panza entsetzt feststellen, kursieren Storys von ihren Doppelgängern, die ganz gegen ihren Charakter handeln!
2002 wählte eine Expertenrunde den „Don Quijote“ zum besten Buch der Welt. Seit 2008 kann das in der genialen Neuübersetzung von Susanne Lange auch der deutschsprachige Leser nachvollziehen. Richtig traurig freilich ist, dass sich am Ende der im Sterben liegende Don Quijote vom Wahn befreit für das nervige Herumgetue entschuldigt. Da wirken dann alle im Dorf, die bisher stets auf seine „Heilung“ drängten, irgendwie bedrückt. Der Leser auch.
SO TREFFLICH! SO VERGNÜGLICH!
Einige der wichtigsten Figuren im Leben des Don Quijote und seines Sancho Panza
Dulcinea von Toboso
So beschreibt sie der Ritter: „Ihre Haarflechten sind gülden, ihre Stirn elysische Felder, (...) ihre Haut ist Schnee, und die Teile, die Sittsamkeit dem Menschenblick verhüllt, sind so beschaffen, wie ich glaube und mir ausmale, dass ein feiner Geist sie nur loben, aber nimmer zu vergleichen vermag.“ In Teil II reitet er in Toboso ein, verzweifelt, sie zu sehen. Sancho behauptet kurzerhand, sie in einem nach Knoblauch stinkenden Bauerntrampel zu identifizieren. Schlussfolgerung: Böse Zauberer haben ihr Bild vernebelt!
Cardenio
Ein anderer Irrsinniger taucht in Teil I in den Bergen auf. Aber der hat guten Grund: Cardenios angeblicher Freund Don Fernando spannte ihm die Braut aus. Noch während des ersten Teils löst sich die komplizierte Tragödie jedoch – ziemlich an Don Quijotes Wahrnehmung vorbei – in Wohlgefallen auf: Alle Liebenden finden zu ihren ursprünglichen Favoriten zurück, der Ritter bleibt der einzige von trauriger Gestalt.
Pfarrer und Barbier
Die beiden Herren aus Don Quijotes Heimatdorf sind sehr um sein Heil besorgt und denken sich – in Teil II vom Bakkalaureus Samson Carrasco unterstützt – Tricks aus, um den armen Mann von seinen Irrfahrten zurückzulocken. Doch gerade, wenn es darum geht, seine Illusionen aufrechtzuerhalten, erweist sich der Tollpatsch als erstaunlich windig und geschickt.
Herzog und Herzogin
Das adelige Paar hat „Don Quijote“ gelesen und ist ganz verzückt, ihm in echt zu begegnen. Mit gigantischem Aufwand bauen sie eine Welt um ihn herum, die seiner Fantasie entspricht. Dem Sancho Panza schenkt der Herzog sogar ein „Eiland zum Gubernieren“. Auf dieser lange herbeigesehnten Insel (die, was keinem auffällt, keineswegs von Wasser umgeben ist) fällt Sancho ein paar Tage salomonische Urteile über die Bevölkerung, bis er feststellt, dass das doch nix für ihn ist.
“Solltet Ihr mir, Herr fahrender Ritter, nochmal begegnen, dann helft und steht mir um Gottes willen bloß nicht bei und sollte man mich auch in Stücke hauen, sondern überlasst mich meinem Unglück, das so groß nicht sein wird wie das, was mir durch Euer Gnaden Hilfe entsteht, (...).”
“Gott steh dir bei, armer Don Quijote, mir scheint, du stürzt dich da vom hohen Gipfel deines Wahns in den tiefen Abgrund deiner Einfalt!”
“Und recht hat er gehandelt, denn die Wahrheit fällt nicht und stirbt nicht, sie geht nicht wie die Lüge auf gefährlichen Stelzen, sondern schwimmt wie das Öl immer obenauf.”
“Nur die Bedingung lehne ich ab, dass der Ruhm seiner Heldentaten auf mich übergehen soll, denn ich weiß nicht, welcher Art und Beschaffenheit die seinen sind. Mit den meinen begnüge ich mich und mit der Art, in der diese beschaffen sind.”