Oh wow!
„Im Ernst. Lasst mich nicht in die Nähe dieser Geräte. Ich werde sie kaputtmachen“, sagt Kate Winslet. „Ich verstehe absolut nichts von Technologie.“
Das Ironische an dieser Situation ist, dass die allermeisten der besagten Geräte natürlich von Apple sind, hauptsächlich iPhones, die dazu dienen, aufzuzeichnen, was sie sagt, und dass der Film, über den sie etwas sagt, „Steve Jobs“ heißt, weil er auf Walter Isaacsons ausführlicher Biografie des visionären und legendären Apple-Gründers beruht.
Und die noch größere Ironie besteht darin, dass keine einzige der beteiligten Personen, die hier zusammengekommen sind, um über „Steve Jobs“ zu sprechen, sich als Apple-fanatisch oder auch nur annähernd technologisch interessiert, geschweige denn begabt deklariert. Eine kleine Ausnahme bildet vielleicht Jeff Daniels. „Ich habe gehört, Kreative verwenden das, dann wollte ich es auch. Und einmal bei Apple hast du keinen Grund mehr, woandershin zu gehen.“ Aber Jeff Daniels zählt nicht: Seit 2012 leiht er in Amerika den Werbespots für iPhone & Co. seine Stimme. „Klar habe ich ein iPhone. Apple ist sehr gut zu mir“, grinst er.
Alle anderen hören sich an, als wäre Apple für sie immer nur ein Stück Obst gewesen: Komiker Seth Rogen, hier sehr ernsthaft und berührend als Tech-Genie Steve Wozniak, sagt: „Ich habe in meinem Leben vielleicht zehn Apps heruntergeladen.“ Michael Stuhlbarg, der den Techniker Andy Hertzfeld als schusseligen, gutherzigen Geek spielt, gesteht: „Ich musste für diese Rolle einen Teil meines Gehirns aktivieren, den ich sonst nicht benutze.“
Den Jobs selbst spielt ein Mensch, der angibt, keine einzige App auf seinem Handy zu haben, und der Steve Jobs nicht einmal dann besonders ähnlich sieht, wenn er dessen charakteristische Rollkragenpullover trägt. Macht auch nichts, Michael Fassbender ist einfach ein brillanter Schauspieler. Beim Essen hörte er sich Reden und Auftritte bei Jobs’ kultigen Produktpräsentationen immer und wieder an, um die Augenfarbe anzupassen, wurden ihm Kontaktlinsen verpasst ‒ und selbst da erinnert er sich, eines Drehtages seinen Regisseur Danny Boyle gefragt zu haben: „Brauchen wir die wirklich?“ Fassbender: „Jetzt ist es so, dass die Zuschauer gleich zu Beginn sehen: Ich sehe ihm nicht ähnlich. Dann können sie darüber hinwegkommen und den Film genießen.“
Sogar Autor Aaron Sorkin, der Shakespeare des Fernsehens, der nicht nur für die TV-Serien „The West Wing“ und „The Newsroom“ verantwortlich ist, sondern eben auch für den Facebook-Historienfilm „The Social Network“, wischt gleich einmal das Missverständnis vom Tisch, er habe ein besonderes Interesse daran, computerbezogene Biografien zu Kammerspielen, Screwball-Komödien und Königsdramen zu verarbeiten. „Nein, das ist Zufall“, sagt Sorkin. „Mir gefiel einfach die Anekdote so gut, dass das Team es kurz vor der Präsentation des ersten Macintoshs im Jahr 1984 nicht und nicht schaffen wollte, dass der Computer ,Hallo‘ sagte. Da hatte ich auch schon den Hauptkonflikt für meinen ersten Akt.“
Akt, genau. Denn „Steve Jobs“ – und das ist das Brillante an diesem Film – ist eigentlich ein Theaterstück. Alle drei Akte sind sogar in Theatern angesiedelt, hinter Bühnen, in Zuschauerräumen, denn jedes Mal geht es um eine der großen Inszenierungen, für die Steve Jobs berühmt war: den Macintosh-Launch 1984, die Präsentation des NeXT-Computers 1988 (in der Phase, als Jobs bei Apple gefeuert war und bevor er Chef von Pixar Animations wurde) und die Geburt des transparent plastiktürkisen iMacs im Jahr 1998. Jeder Akt umspannt in Echtzeit die 40 Minuten vor dem Beginn. Alle menschlichen und geschäftlichen Dramen, alles an Historie und Biografie ist auf diese 40 Minuten zugespitzt. „Steve Jobs“ ist kein Biopic. Schließlich hat es seit dem erst vier Jahre vergangenen Tod des Protagonisten schon zwei brave Biopics gegeben (eines mit Ashton Kutcher in der Hauptrolle, eines mit Justin Long). Das Steve-Biopic ist out. Es lebe „Jobs ‒ The Play“! (Michael Stuhlbarg sagt, er wäre bei der Theaterversion sofort dabei; Jeff Daniels zuckt die Schultern: „Ich glaube, Fassbender wird keine Zeit haben.“)
Rein faktisch stimmt da natürlich einiges nicht: Joanna Hoffmann etwa, Jobs’ engste Mitarbeiterin, spielte schon ab den späten Achtzigern kaum noch eine Rolle in seinem Leben. Bei Kate Winslet ist sie die weibliche Hauptrolle, die „work wife“, die Organisatorin. „Und Kate wurde das auch am Set für Michael Fassbender“, freut sich Regisseur Danny Boyle. Auch John Sculley (Jeff Daniels), den Jobs von Pepsi als Marketingchef abwarb, der dem Adoptivkind dann lange Jahre als Vaterfigur diente, 1985 aber federführend Jobs’ spektakuläre Absägung verantwortete, kommt hier in allen drei Akten vor – ein Geist aus der Vergangenheit, ein nagendes Gewissen, denn in Wahrheit wechselten Sculley und Jobs seitdem kein Wort mehr miteinander. Die emotionalen Aspekte jedoch, die Beziehungen der Figuren zueinander, ihre Konflikte, sie werden den Schilderungen in Walter Isaacsons gründlich recherchiertem Buch eins zu eins gerecht.
Wer dieses Buch gelesen hat, wird daher ahnen, dass „Steve Jobs“ weder elegante Schleichwerbung für Apple noch ein großes Heldenepos ist. Denn auch wenn der Mann vielen als Hero gilt, machte er seinem Umfeld vielfach das Leben schwer. Trotz laut Vaterschaftstest 94%er Wahrscheinlichkeit weigerte er sich jahrelang, seine erste Tochter anzuerkennen, weil er einfach noch kein Vater sein wollte. Wutanfälle und sehr direkte und harsche Kritik an allem, was ihm ästhetisch missfiel, machten ihn schwer zu ertragen. Aber eben dadurch gelang es ihm, das Beste aus seinen Mitarbeitern herauszuholen. „Menschen wie ihn feuere ich lieber, wenn ich mit ihnen zusammenarbeiten soll“, erklärt Regisseur Danny Boyle. Und Seth Rogen lacht: „Man könnte sagen, ich habe schon mit solchen Menschen gearbeitet. Seltsamerweise stelle ich bei denen mit ganz schlimmem Ruf aber meistens fest, dass ich eh ganz gut mit ihnen kann. Was auch immer das über mich aussagt.“ Und dann lacht er laut und ein bisschen kindisch. Ist ja doch ein Komiker, dieser Seth Rogen.
Wie schon bei „Social Network“ schafft es Autor Sorkin (diesmal mit anderem Regisseur, weil er sich mit David Fincher wohl überwarf und kurzfristig Danny Boyle ins Boot holte), einen Film über Computer zu machen, aber kaum Bildschirme zu zeigen, sondern Gesichter. Anhand von Momenten der Zeitgeschichte bildet er eine eigene, eine zugespitzte Realität, ach was, eine Fiktion, die den Film atemlos spannend macht. Für den Facebook-Film hat Sorkin den Drehbuch-Oscar erhalten, und ein weiterer steht wahrlich an. Auch die Schauspielerriege hat schon Nominierungen vor der Nase schweben: Rogen, schüchtern, aber determiniert als Wozniak; Fassbender, der die drei Vierzig-Minuten-Rennläufe stemmt, als hänge sein Leben davon ab; Winslet, deren Hoffmann mit ihrem subtilen polnischem Akzent eine Figur, die im Buch auf zwei Dutzend Seiten vorkommt, mit Leben und Liebe für einen Mann füllt, der nicht dafür geschaffen ist, geliebt zu werden.
Bleibt nur, die angeblich letzten Worte des Steve Jobs im Oktober 2011 zu wiederholen: „Oh wow. Oh wow. Oh wow.“