Hinterholz 2.0
Alles halb so wild: Roland Düringer lädt ein und berichtet, warum er keine Bäume umarmt, wieso eine Trilogie auch vier Teile haben kann und wie sein Treffen mit Michael Spindelegger so war
Wenn man Roland Düringer in Niederösterreich besucht, gerät man ins Schmunzeln: Kurz vor der Ankunft zeigt das Navi an, dass man durch Hinterholz fährt. Man denkt an den Film, an den Düringer-Boom Ende der Neunziger mit „MA2412“ und „Benzinbrüder“. Dann erinnert man sich, wie er vor drei Jahren alle verwirrt hat, weil er plötzlich Vorträge statt Kabarett abhielt und politisch geladene Wutbürgerreden vom Stapel ließ. Vor knapp zwei Jahren runzelte man dann noch mehr die Stirn, denn er kündigte an, sich in seinen autarken Wohnwagen zurückzuziehen und der modernen Technologie zu entsagen. Auf gueltigestimme.at regte er seitdem – durchaus unter Verwendung der modernen Technologie – mit kleinen Videos zum Nachdenken an. Wenn man Roland Düringer dann trifft, ist plötzlich alles halb so wild. Er zeigt einem die Reste seines einst überbordenden Fuhrparks, aber auch sein Gemüsebeet. Und er lässt mit Leichtigkeit so manchen Mythos platzen, der sich neuerdings um ihn rankt.
Ich war unsicher, wie ich mehr Verachtung von Ihnen ernte: wenn ich meine Fragen auf Papier ausdrucke, oder wenn ich das iPad mitbringe? Ich habe mich für das iPad entschieden, weil umweltfreundlicher. Es besteht keine Gefahr: Ist ja super, das Ding. Ich habe auch ein kleines iPad. Mit dem spiele ich meine gueltigestimme.at-Beiträge auf YouTube, wenn ich unterwegs bin.
Ist das Projekt Rückzug eigentlich vorbei? Wenn man es als Projekt bezeichnen will, ist es gegessen. Nicht, weil ich es abgebrochen habe, sondern weil ich jetzt weiß, welchen Einfluss gewisse Dinge auf mich haben und wie ich sie in Zukunft verwenden will. Mit dem Auto etwa fahre ich heute zum Bahnhof, da ist es sinnvoll. Oder vorhin war ich einkaufen bei unserem Nahversorger, da hatte ich etwas zu transportieren. Es geht nicht darum zu beweisen, dass auch alles ohne geht, sondern zu fragen: Wo macht es noch Sinn? Wo ist der Punkt, an dem unsere Dinge uns beherrschen, und wo verwende ich sie als Werkzeug?
Leben Sie weiterhin ohne Handy? Ich habe ein Handy. Das kann ja viele nützliche Sachen. Ich hatte nur eine Zeitlang keine Mobiltelefonnummer. Aber zum Beispiel habe ich immer „ÖBB Scotty“ verwendet. Da weißt du innerhalb von 30 Sekunden, welchen Zug du nehmen kannst.
Wie viele Menschen aus Beruf und Familie haben Sie verflucht, als Sie plötzlich nicht mehr per Handy erreichbar waren? Für all diese Menschen war es eine Umstellung, so wie für mich. Aber es pendelt sich ein. Es ist ja nicht so, dass ich im Wald lebe und man mich nicht erreichen kann. Du rufst an, da ist ein Anrufbeantworter oder ich bin zuhause. Es dauert halt alles ein bisschen länger.
Sie haben das ja auch gemacht, um ein Vorbild zu sein. Was waren die Reaktionen? Viele Leute erzählen mir, dass sie auch etwas ausprobieren. Sie schreiben mir Briefe, denn E-Mail habe ich ja nicht mehr.
Es gibt also noch so etwas wie Fanpost. Das klingt wie aus einer anderen Zeit. Genau. Meistens sind sie auch handgeschrieben und beginnen so: „Es ist schon sehr lange her, dass ich einen Brief geschrieben habe, und ich entschuldige mich für meine Schrift.“
Ihr neues Kabarettprogramm – oder Ihr neuer Vortrag, wie Sie es nennen – ist Teil einer Trilogie. Auf „ICH – Ein Leben“ und „WIR – Ein Umstand“ folgt nun „ICH allein?“. Früher habe ich auf der Bühne immer eine bestimmte Personengruppe behandelt: die Häuslbauer, die Motorfreaks, mich selbst. Dann wollte ich ein neues Programm schreiben, das jeden einzelnen im Publikum einschließt, auch wenn sie ganz unterschiedliche Geschichten mitbringen. Also war mein Thema: Was ist der Unterschied zwischen Leben und Lebensgeschichte? Geburt, Heranwachsen, Erziehung, Fortpflanzung, Nahrungsaufnahme, Krankheit, Tod – diese Dinge betreffen alles, was lebt. Bei einer spontanen Veranstaltung im Kabarett Niedermair las ich einfach alles, was ich schon hatte, vor. Der Niedermair-Chef meinte, das ist eigentlich ein Vortrag und ganz lustig. Das habe ich dann weiterentwickelt, aber es entstanden immer mehr Ideen für einen zweiten und einen dritten Teil. Mit dem dritten Teil bin ich jetzt durch, und wie es aussieht, wird es einen vierten von drei Teilen geben.
Landet der dann wieder beim „Wir“? Das weiß ich nicht. Es werden eher Auskopplungen einzelner Themen, die in der Trilogie nur gestreift wurden.
Am Anfang Ihres Selbstversuchs wurde schon gemunkelt: Was ist denn jetzt mit dem Düringer los? Hat der den Verstand verloren? Er umarmt jetzt Bäume. Ha! Ich umarme keine Bäume. Ich schneide sie um, wenn sie mir im Weg sind.
Waren diese Reaktionen nicht ein klein bisschen kalkuliert? Haben Sie sich nicht spitzbübisch darüber gefreut? Überhaupt nicht. Ich hatte eine Phase Ende der Neunziger, da war so ein Druck auf mir, weil ich überall populär war. Egal, was ich gemacht habe: Kino, Stadthalle, Fernsehserie, ich hatte Tausende Leute. Und genau daran habe ich mich orientiert. Worum geht es im Leben? Einschaltquoten, viel Geld verdienen, Romy kriegen ‒ das ist wichtig. So habe ich lange übersehen, dass es mir selbst dabei immer schlechter ging. Irgendwann war mir klar: Das kann es nicht sein, dafür mache ich das nicht. Ich will Theater spielen, ich will reden auf einer Bühne. Was mache ich jetzt? Die einzige Möglichkeit war, das zu verändern, was ich auf der Bühne mache, und zwar radikal. Nur so konnte ich aus dem Druck rauskommen, den ich mir selbst gemacht habe. So habe ich mir das alte Publikum so ein bisschen zerstört. Allmählich hat sich aber ein neues aufgebaut. Wirtschaftlich ist für mich wichtig, dass Leute kommen und sich meine Vorträge anschauen. Das brauche ich, um meine Familie und die Menschen, die für mich arbeiten, zu versorgen. Im Garten habe ich einen Wohnwagen mit 28 m2, damit hänge ich an keinem Netz. Wenn rund um mich alles zusammenbräche, ich würde es nicht bemerken. Bei mir geht alles weiter: Ich habe meinen Gemüsegarten, ich habe ein paar Schweindln, ich habe den Jagdschein. Ich wäre jetzt in der Lage, mich mit dem zu versorgen, was man wirklich braucht: einem Dach über dem Kopf, Wärme, Nahrung, Wasser. Daher bin ich entspannt für den Fall, dass einmal keiner mehr zu mir kommt. Da lebe ich dann dieses Plan-B-Leben, wo ich mich selbst versorge. Das heißt nicht, dass ich alles selbst herstelle, sondern dass ich mich mit meinen Nachbarn abspreche: Was habt ihr, was braucht ihr? Du brauchst nur eine Gemeinschaft, die miteinander kooperiert. Früher hat das Dorf geheißen.
Apropos Dorf: Wollen Sie Wiener Bürgermeister werden? Bitte was?
Es gibt Gerüchte. Ist das leicht in der Zeitung gestanden?
Ja. Sie sollen dementiert haben: „Das wäre ja ein sozialer Abstieg.“ Ah! Es gab eine Pressekonferenz von unserer Aktion „Tatort Hypo“. Da hat einer allgemein gefragt, ob das jetzt der Anfang ist und ich in die Politik gehe. Ich habe gesagt, das wäre ein sozialer Abstieg, weil ich jetzt ein freies Leben lebe und von niemandem abhängig bin. Was nicht heißt, dass ich nicht weiterhin, wenn es wichtig ist, zu bestimmten Themen etwas sage oder Menschen zum Nachdenken anrege. Aber: Was mache ich denn in Wien?
Dabei gibt es doch Erfolgsgeschichten von politisch aktiven Künstlern à la Jón Gnarr oder Beppe Grillo. Wenn ich bei einer Wahl in Wien antreten würde, gäbe es sicher Menschen, die mich wählen. Die wissen aber nicht, was sie tun. Wenn du einen Kübel mit lauter stumpfen Messern hast und du wirfst ein scharfes hinein, werden davon die stumpfen Messer dann scharf? Es haben schon viele gehofft, dass sie innerhalb des Systems etwas verändern können. Aber wenn du einmal drinnen bist... Die fahren ein Programm mit dir, so schnell kannst du gar nicht schauen.
Aber irgendwer muss doch versuchen, das System aufzubrechen. Das probiere ich ja auch.
Aber außerhalb des Systems. Außerhalb dieses einen Teils unseres Systems. Das System ist ja viel komplexer. Aber dieses parteipolitische System mit Parlament, Regierung und Klubzwang kann man von außen schon stören. Das ist uns auch gelungen. Wenn ein Kasperl wie ich einen Brief an den Finanzminister zum Thema Hypo-Skandal schreibt, den in seinem Blog vorliest, der dann zwei Tage später in einer Zeitung abgedruckt ist und drei Tage später der Finanzminister und Vizekanzler um eine Termin bittet, dann ist die Kacke am Dampfen bei denen. Wir haben 200.000 Unterschriften gekriegt. Ich durfte 15 Minuten im Petitionsausschuss sprechen, konnte mir das also von innen anschauen und weiß, das ist kein Ort, an dem ich sein möchte.
Wie war es dort? Na ja, eigentlich traurig. Die sitzen dort mit ihren iPhones und iPads, tratschen und hören einander nicht zu. Am Schluss habe ich gesagt: Wie würden Sie sich verhalten, wenn die Menschen, die Sie gewählt haben, Ihre Kunden wären, Sie also nur dann bezahlen, wenn Sie eine Leistung erbringen?
Wurde auf die Frage reagiert? Nein, an denen prallt so etwas ja ab. Man muss schon eine dicke Haut haben in diesen Ämtern, die werden ja pausenlos angebrunzt: von den Medien, von allen. Warum tut sich das jemand an? Das habe ich auch den Herrn Spindelegger gefragt.
Und daraufhin ist er zurückgetreten? Nein, das war vorher. Er hat gesagt, weil er etwas verändern möchte. Aber irgendwann merkst du, du kannst nichts verändern. Also: Ich werde nicht Bürgermeister.
ORIENTIERUNG
Düringer über seinen neuen Vortrag „ICH allein?“
„In Teil 1 ging es um den Neandertaler, in Teil 2 um die von uns kreierte Wirklichkeit. Der dritte Teil kreist um die Frage: Was ist denn in diesem Ich überhaupt noch drinnen? Wir Menschen kommen halbfertig auf die Welt. Wir müssen lernen, lernen und lernen. Unser Neocortex ist dreimal so groß wie der eines Schimpansen, die Wirklichkeit wird auf uns erst draufgespielt. Wir haben nicht mehr so viele Instinkte wie Tiere, aber die Möglichkeit, aus vielem auszuwählen, ist auch für viele ein Fluch. Du brauchst eine Orientierung, und die wird von deinen Rahmenbedingungen vorgeben, von der Gesellschaftsstruktur. Das schaue ich mir in drei Themenblöcken an: Information, Religion und Zeit.“
25. November und 10. & 11. Dezember 2014 im Wiener Stadtsaal