Beim Tanz, wie im Sport, vergeht die Zeit schneller. Mit noch nicht einmal 48 Jahren ist Akram Khan schon ein tänzerischer Veteran. Seine erste große Rolle als Kind, das den nordindischen Tanzstil des Kathak perfektionierte, war die eines bengalischen Jungen, der bei den Tieren im Wald ausgesetzt und in ihre Mitte aufgenommen wird. In der vermutlich touristisch wertvollen Produktion „The Adventures of Mowgli“ der Academy of Indian Dance erregte der talentierte Zehnjährige Aufsehen. Das war 1984 und noch bevor er durch Peter Brooks epochale „Mahabharata“-Bühnenadaption weltberühmt wurde, um daraufhin in England und Belgien Contemporary Dance zu studieren und West und Ost in eigenen Choreografien auf nie dagewesene Weise zu verbinden.
Fast 40 Jahre später denkt Akram Khan Mowglis Geschichte aus gegenwärtiger Perspektive neu. Als Performer hat er längst alles erreicht und sich von der Bühne zurückgezogen. Die Produktion „Xenos“, die im Mai 2018 auch im Festspielhaus St. Pölten zu sehen war, bedeutete seinen Abschied als Tänzer, nicht aber als Choreograf. Seine Akram Khan Company, gegründet im Jahr 2000, arbeitet unermüdlich weiter. Die Bild- und Tanzsprache freilich hat sich stark verändert. „Akram hat seinen Körper aus dem künstlerischen Prozess entfernt“, erklärt Mavin Khoo, Khans rechte Hand. „Er generiert kein eigenes Material mehr. Die Tänzerinnen und Tänzer, mit denen wir heute zusammenarbeiten, verfügen über keine klassische Kathak-Ausbildung. Das ,Fernöstliche‘ liegt heute also viel mehr in einem gewissen Daseinszustand und in der Vermittlung bestimmter Werte und Herangehensweisen als darin, dem Ensemble ,Indian dance hands‘ aufzuzwingen.“
Einige ältere Kritiker:innen in England, die Akram Khans Arbeit schon lange begleiten, scheinen damit ein Problem zu haben. „Sie versuchen in Interviews immer noch, alles irgendwie auf die gewohnt exotischen Kathak-Rhythmen herunterzubrechen“, sagt Khoo. „Ich muss jedes Mal erklären, dass es darum schon lange nicht mehr geht. Auch den typischen Akram-Khan-Tänzer gibt es nicht mehr. Die Palette reicht heute vom B-Boy bis zu Tamara Rojo.“ Khoo selbst – Glatze, Bart, nicht allzu großgewachsen – sieht dem Meister recht ähnlich, im Entstehungsprozess von „Xenos“ schlüpfte er sogar immer wieder in Khans Rolle. Nach der Premiere von „Jungle Book reimagined“ in Leicester stellte er sich freundlicherweise zum Interview zur Verfügung – in Vertretung des kurzfristig zu seinem zweimonatigen Baby nach London abberufenen Chefs.
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